Diary_3004_Aufwachen in Ghost City

Du siehst, dass aus einer Welt ein Trümmerhaufen wird, doch Schuldige gibt es dafür keine, und auch keine logische Erklärung. Wie breitwillig ich mich verwüsten lasse…. Ich kann neuerdings und im Prinzip längst nicht mehr leben, ohne diesen seltenen Anderen, diesen lebendigen, filigranen Kometen, mit dem ich doppelt lebendig bin. Ich weiss nicht, warum ich rauche wie ein Stoppelfeld. Aber bin ich nicht auch ein in die Jahre gekommenes Geschichtsbuch und adaptiere bloss die Art u Weise, wie ich gelernt habe, zu reagieren und interagieren? Das Leben ist für mich ein Spiel aus Allem oder Nichts. Seit einiger Zeit verliere ich nur noch da, wo mein Kern, mein lebendigstes Dasein bedroht ist, da, wo etwas für mich auf dem Spiel steht! Ich würde gerne in Nuancen empfinden, aber das war nie mein Ding.
Als junges Mädchen hatte ich kurzzeitig einen seelischen Höheflug. In dieser Zeit zwischen Achtzehn und Neunzehn dachte ich, dass ein Mensch nie etwas verlieren kann, weil er etwas besitzt, das ihm keiner nehmen kann: die Fähigkeit, sich selbst das Gefühl von innerem Reichtum zu verschaffen. Ich radelte gerade auf der rosaroten Julia, meiner zweiten Velobänne von der Schule Richtung Bahnhof, (wo mir Jakobli, die erste Velobänne gestohlen worden war), warme Schaumwolken trieben am blauen Himmel, ich war glücklich, weil mir einfiel, dass ich immer reich sein werde. Welcher Irrtum. Dieser Einfall war nur eine Theorie respektive mal wieder eine meiner Ideen! Ich dachte zum Beispiel, dass es in mir ganz viele Herzen zu erobern gibt und umgekehrt ich nie wieder ein einziges grosses Herz habe für einen (Menschen)
, sondern viele kleine für einige! Für viele! Aber meine vielen kleinen Herzen blieben unberührt wie kleine Loungesitze in der Discobar. Ich fühlte mich lebendig, doch mir erschloss sich die Lebendigkeit der vielen resp einigen Andern nicht. Die wichtigen Tangenten berührten sich nicht und ich fror, dass ttog mrabre. Wo war jetzt mein innerer Reichtum, wenn ich fror und es nicht schaffte, jemanden an mich zu ziehen….einige an mich zu ziehen? Synergie von Energie und Verdoppelung von Lebendigkeit durch gegenseitige Präsenz. Wenn ich alle liebte, umfassend und viele berühren könnte, so dass die Energie den Zellkern erreicht, dann wäre Leben ein Traum gewesen und ich bin sicher, ich wäre jetzt kein physischer Krüppel. ABER also was macht es aus, ob wir entbrennen für andere Menschen und ob und in welchem Umfang wir den Mangel fühlen, wenn wir mehr als Dreiviertel unseres kurzen Lebens ohne diese Berührungen verbringen, die wir brauchen, um uns durch etwas da Draussen gespiegelt zu sehen? Ich denke, so viel Potential geht verloren! Was für eine Verschwendung, als Gesunder, an diesem Kelch vorüberzugehen!!!! Sicher, es gibt Menschen, die kompensieren dieses Fehlen oder empfinden es nicht so, andere fühlen sich flüchtig hingezogen zu unzähligen Menschen. Ich kenne nicht den Ursprung meiner Sehnsucht, die zur Verzweiflung verkommen ist. Aber dunkel vermute ich, dass sich in ihr meine Adaption von Alles oder Nichts, von Leben oder Tod wiederspiegelt. Mein Fühlen und Handeln ist ständig in strammen Zügeln verlinkt mit der Innen- und Aussenseite desselben Handschuhs. Wenn ich mich und meine absurde sperrige Lebensweise verstehen will, muss ich einfach diese beiden absoluten Pole vor Augen haben; dann habe ich die Auschliesslichkeit und das Prekäre meiner Emotionen. Emotionen; das ist viel zu viel gesagt. Es sind ja nur verinnerlichte, biochemische Reaktionen, enge, auswegslose Bahnen, aus denen es feuert, signalsynapsende Entladungen, fehlgesteurt durch eine sympathikone Hyperaktivität des Gehirns. Ich bin von Adrenalin dauerhaft geflutet, der Pegel steigt, wie da Draussen etwas steigt und steigt… so wenig ich damit in Berührung komme; ich spüre schon intuitiv, dass sich diese Welt in einen kranken Patienten verwandelt, davon driftet, ohne dass ihr jemand zu Hilfe eilt. Ich spüre eine mächtige Erosion. Alles weitere im Ungefähren. Für viele Menschen gibt es da Draussen jedoch Nischen und Plätze, sie empfinden Zugehörigkeit zu andern, sie adaptieren ihr Dasein an das Gegebene, machen Kompromisse, fühlen in Abstufungen. Andere gehen früh ein. Ich bin sicher, auch an menschlichem Erfrieren. Wenn du mit jemandem aufgehst, richtig, dann löst das verknotete Stunden, das Gehirn fliegt, als wäre es mit Schmalz geschmiert, das Herz hüpft, man ist wieder leicht, kreativ, froh, spritzig wie ein Kind. Ich hab keine Lust weitere Dreiviertel meines Lebens in meine eigene Lebendigkeit zurück zu implodieren, mich zu verpanzern, durch den Panzer, der die Welt mir aufbürdet, da ihr Einflussgebiet weitreichender ist, als das meine. Ich habe keine Lust mich immer nur aus mir selbst zu ernähren. Die Umstände lassen aber kaum etwas Anderes zu. Meine. Und die da Draussen. Wenn ich sage, dass ich nicht sehe, wie mein Leben vertrümmerte, so muss da doch eine externe/interne Gewalt (wie oben erklärt) durch mich gewirkt haben, dies, obschon ich eigentlich einen inneren Frieden anstrebte. Aber zum Preis einer Wahrheit, für die man sich notwendigerweise ins Zeug legen muss. Waffen, die ich zückte, waren nicht zum Vernichten da, sondern um den Frieden zu sichern, einen echten u tiefen Frieden. Ich meine damit: dass ich versuchen musste, so etwas Selbstverständliches wie einen Zugang zu den Menschen zu finden. Es hat dann doch ziemlich oft Theater gegeben und Streitereien. Ich lief noch, als ich keine Schutzhaut mehr hatte, blöd in jeden Feuerkegel hinein. Als könnte ich in der Erkenntnis, kaputtzugehen, im letzten Moment noch etwas an Erfahrung gewinnen. Jene Prise Erfahrung, die mir fehlt, um zu verstehen, was abgeht. Ich musste die Zerstörung jedoch auf mich nehmen, sie nach Innen wenden, da das Aussen abbrach und wegglitt wie ein Landzug ins Meer hinaus. Ich sehe über Wochen und Jahre kaum ein menschliches Gesicht. Ich bin in keinem Austausch mehr, der für ein Herdentier normal sein müsste, für ein Herdentier, wie mich, das eine intensive Nähe braucht. Ich denke an Kaspar Hauser, der Fleisch und Suppe erbrach, nachdem er jahrelang Brot ass…und dann überschnappte, als sich die Welt ihm auf einmal zuwandte. Sind wir uns selbst? Ich muss es nocheinmal fragen? Sind wir in uns, wenn so viele unter uns frieren? Und ich den Geliebten dazu bringe, Waffen gegen mich zu zücken, obschon ich niedersank vor seine Knie, mir selbst entrann, so klein wurde, wie ich noch nie gewesen, so absurd lächerlich und klein…! Frieden und nicht einen inneren Frieden dadurch nachhaltig zerstört sehen. So die Voraussetzung hinter der Idee, die ich mit Achtzehn hatte, als ich dachte, dass ich in dieser Welt einen Platz, eine Nische finden werde. Auch wenn ich sredna bin. Dass ich hinausgehe und Fragen stellen kann, dacht ich. Und mich durch Fragen verbinde mit diesen und jenen. Und ich dem Rand so entwachse.
(19.12.2020, Ghost City, Engehalbinsel, 3004, Bern)
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