SpokenMe: Auszug aus dem Glaubenssatz, Curriculum Absurdum

(15.3.2021, Auszug aus dem Glaubenssatz, dem vergammelnden Romanmanuskript, Kapitel Curriculum Absurdum, die FrecheGören-Jahre und Flottmann Rambo, by the way: die Kurzatmigkeit gibt Auskunft über mein dauerhaft mitochondriales Destaster, freudloses, unbemerktes Abschiffen)

….. Aber hält mich die schwache Pumpe oder das
lange, verhasste Liegenmüssen, halten mich diese ständigen physischen
Zusammenbrüche nach dem Training etwa davon ab, spätestens am
übernächsten Tag gleich wieder bergauf zu gehen?! Nein! Um mir meine
Kondition anzutrainieren und meine Dekonditionierung abzutrainieren, trainiere
ich am nächsten oder übernächsten Tag gleich wieder! Genaugenommen
bedeutet eine Dekonditionierung ja nur, dass eine Fähigkeit, die ich einmal
gelernt und beherrscht habe, in meinem Gehirn als neuronale Spur verblasst. Ich
muss mein Gehirn ergo lediglich lange genug darauf trimmen, wieder zu
funktionieren, dann werde ich die dumme Angewohnheit des
Nichtfunktionierens früher oder später wieder verlernen. Das Wichtigste ist dabei,
dass ich mit dem Training auch dann nicht aufhöre, wenn ich die Symptome
spüre, sondern einfach über diese hinweg schreite, als wäre ich Rambo!
Zumindest sagt das mein Shrink, Rambo Flottmann. Wenn ich über meine
Symptome hinweg schreite und die Grenze meines inneren Schweinehundes
überwinde, kann mein Gehirn nicht nur die richtigen Synapsen bilden, ich zeige
damit auch, dass ich wirklich motiviert bin, das Unmögliche zu tun und durch die
Wand zu gehen! Die einzige Voraussetzung ist dabei nur, dass ich meine
Therapien auch wirklich ernst nehme und vor allem die Hippotherapie nicht
immer aufs Neue schwänze. Ich schwänze die Hippotherapie unter dem
Vorwand, sagt mein Shrink, indem ich sie durch eine Gehtherapie in Eigenregie
unten am Fluss ersetze. Wobei ich eigentlich auch die Gehtherapie unten am
Fluss nur vorschiebe, um daheim in meinen vier Wänden an meinem Curriculum
Absurdum zu schreiben. Ich sage, ich schreibe einen Lebenslauf, der mir helfen
soll, eine Stelle zu finden und mich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sagt mein
Shrink. Stattdessen schreibe ich an einem Buch, dem Curriculum Absurdum, in
dem nichts wahr und nichts echt ist, weil es darin um nichts geht und das nur der
Selbstbespiegelung dient. Abgesehen davon vergesse ich offenbar, dass auch
das Schreiben, genau wie das Reiten, nur als Therapie gedacht ist, eine
Therapie, die dann wieder wegfällt, sobald mein Erdbezug gefestigt ist, meine
Wiedereingliederung in die Marktwirtschaft oder Teilwirtschaft geklappt hat.
Wenn ich mir allerdings sage, heute mache ich ein bisschen Schreibtherapie und
morgen ein bisschen Gehtherapie, kann eine solche Wiedereingliederung nicht
klappen. Ich kann mir die Therapie und sei es eine Schreibtherapie oder
Gehtherapie, eine Hippotherapie oder eine Gesprächstherapie (zu der ich
ebenfalls einmal wöchentlich gehe), alle Therapie, ja nicht selbst verordnen! Nur
ein Therapeut kann das! Und das sagt nicht mein Shrink, das weiss ich selbst! Die
Krux ist: nur wenn der Psychiater die Therapie verordnet, ist die Therapie auch
Therapie!
Nichtsdestotrotz habe ich Rambo Flottmann vor dem letzten Ausritt gesagt,
dass ich der Gehtherapie gegenüber der Schreibtherapie den Vorzug gebe, die
Schreibtherapie der Hippotherapie gegenüber aber eindeutig vorziehe. Gut, da
ist noch die Gesprächstherapie, die ich bisher ganz vergessen habe, und die mir 10
nicht schlecht gefällt, vor allem weil es mir dabei gestattet ist, ziemlich ausgiebig
über mein Problem: die Symptome, zu reden. Sollten diese Symptome durch das
lange Reden aber eines Tages verschwinden, werde ich ab sofort zu keiner
einzigen Therapie mehr gehen! Das kann ich hier beschwören! Generell habe
ich nämlich nicht viel mit Therapie am Hut, besonders die Hippotherapie macht
mir zu schaffen. Gegen die Hippotherapie regt sich in mir genaugenommen ein
leiser Widerwille. Ist es aber gut, wenn ich weiter zur Hippotherapie gehe und
diesen Widerwillen einfach übergehe? Nein, das denke ich nicht! Und darum
habe ich Rambo Flottmann neulich auch vor vollendete Tatsachen gestellt, in
dem ich sagte, dass ich ab sofort mit Reiten aufhöre, Schluss vorbei und basta.
„Und warum?“, wollte Rambo Flottmann überrascht wissen und stiess die
Gesässbacke des leicht lahmenden Pferdes zuerst, dann die meine mit seiner
Hand leicht an. Es war ein eisigkalter Wintertag, Schneewehen klatschten mir von
den Baumwipfeln ins Gesicht, während der allerliebste und störrische Hervar das
Halfter alle fünf Meter nach unten zog und mit dem Maul im Schnee nach
Würzen buddelte. Kurz darauf gerieten wir in einen eisigen Hohlweg, und das
Islandpferd machte keinen Schritt weiter. „Grr, Hervar, grr!“, rief Rambo
Flottmann und versuchte Hervar am Halfter herum zu ziehen, während ich aus
meinem Handschuh geschlüpft war, um den samtigen Hals des Pferdes zärtlich
zu tätscheln. „Jetzt machen wir mal einen flotten Trab! Hüh, Hervar!“ Flötete
Rambo Flottmann, der es nach einer Viertelstunde geschafft hatte, mich und
das Pferd von hinten den vereisten Hohlweg hinauf zu stemmen, ich weiss auch
nicht wie. Oben angekommen galoppierte Hervar auf jeden Fall plötzlich drauf
los, ein kurzer Peitschenhieb aus Flottmanns Hand muss ihn mächtig in Panik
versetzt haben.
„Was fühlen Sie? Fühlen Sie den Boden unter Ihren Füssen?“ Während
Flottmann, mein Shrink, atemlos neben uns her spurtete, echote seine
euphorisierte Stimme durch das Dickicht. „Aber fragen Sie doch das Pferd!“,
schrie ich keuchend zurück. „Weil, ehrlich gesagt, ich auf dem Pferd oben kann 11
diesen Bodenkontakt mit den Füssen ja gar nicht fühlen, solange meine Füsse erst
noch im Steigbügel sind, rein logisch! Das Pferd kann diesen Kontakt vielleicht
fühlen, obwohl mich das wundern würde… “ Ich krallte mich an Hervars Mähne
fest, verdrehte den Kopf und sah Rambo, die Arme in die Hüften gestützt, stehen
bleiben. Laut schrie er: „Frau Stürmchen! Schliessen Sie die Augen! Pressen Sie
das Bein fest gegen die Lende des Tieres! Geben Sie mit dem Absatz die Sporen!
Sonst wird es lahmen!“ – „Welche Sporen?“, rief ich versteinert zurück, erhob mich
im Steigbügel und hielt allen Ernstes nach Pilzen Ausschau. Ich muss es an dieser
Stelle vielleicht noch einmal erwähnen: ich kann unter Stress einfach nicht mehr
ordentlich denken. Mein ganzes Fight-and-Flight-System bricht bei Aktionen wie
diesen gnadenlos zusammen! Dies ist umso seltsamer, da vieles darauf hin
deutet, dass ich seit mehreren Jahren in diesem Fight-and-Flight-Tripp stecken
geblieben bin. Wobei ein Teil meines Alarmsystems gerade wie ein Pferd
dauerhaft durchbrennt, während ein anderer fortwährend bremst. „Aber darf
ich jetzt absteigen? Ich glaube, ich fühle den Boden nicht unter meinen
Füssen…! Herr Flottmann…!“ – „Hopphopp, hühü Hervar! Jetzt machen wir noch
einen kleinen Galopp!“ Flottmann überhörte meine Not.
Da ging mir auf einmal durch den Kopf, dass ich ja weiter reiten musste und
nicht absteigen durfte, weil ich meinen Job im Integrationszentrum ZEFA und
vorher den Job im Famulus verloren hatte, weiter reiten und zwar solange, bis ich
wieder einen Job in Aussicht hatte. Zurzeit hatte ich aber weder einen Job in
Aussicht noch die Absicht, wieder ins ZEFA zurückzukehren, wo ich den lieben
langen Tag nur Petit-Beurre gegessen und Mandala ausgefärbt hatte. Also
schlüpfte ich aus den Steigbügeln, umfasste mit den Armen das Pferd um den
Bauch und liess mich seitlich über seinen Rücken zu Boden fallen. Ich landete gut
und hatte sofort wieder Boden unter den Füssen, oh Wunder. Doch eine Woche
nach diesem Erlebnis bin ich nicht zur Hippotherapie gegangen und auch den
letzten und vorletzten Termin liess ich einfach sausen. Ich weiss nicht, wie viele
Termine ich schwänzte, aber mit jedem Termin, den ich lustvoll fahren liess, 12
wurde mein schlechtes Gewissen stärker. Ich dachte an meinen Vater, Hannes
Friedrich und an das Bildungskonto, das er für mich angelegt hat, und das ich für
Druckerpatronen, Brot und Käse sowie Modeschnickschnack so gut wie
aufgebraucht habe. Dieses Geld hat einer sauer verdient, der als Kind jeden
Freitagabend die Gerte spürte auf seinem Rücken. Einer, der sich darum
inbrünstig wünscht, dass ich dereinst ein bisschen höher und weiter komme und
nicht ganz nackt da stehe im Leben. Dachte ich mit schlechtem Gewissen.
Wenn ich es nur schaffe, mir selbst die nötigen Peitschenhiebe selbst zu geben,
zwei, drei, das reicht schon zum Anrollen! So war ich nahe daran, zum Telefon zu
greifen, um mich bei Flottmann für meine Schwänzerei zu entschuldigen. Als mir
auf einmal einfiel, dass Rambo Flottmann den Platz auf dem Rücken des Pferdes
vermutlich bereits durch eine neue Person ersetzt hatte. Einen
Arbeitsproblemhaufen, der ebenfalls Zeichen eines Erdbezugmangels aufweist,
und der bei der Arbeit darum nicht funktioniert. Arbeitsproblemhaufen, die mit
den Füssen nicht bis zum Fussboden gelangen, finden sich schliesslich immer.
Doch wer die ganze wirkliche Arbeit macht und all die Last trägt auf seinem
alten Rücken und ganz stumpfsinnig und träge geworden ist von all den
Arbeitsgängen, daran denkt keiner!
Die Sache mit Hervar ist die: in Tat und Wahrheit will ich ihn gar nicht
bereiten, ich will ihn nur streicheln! Ich streichle die Dinge nun mal lieber, als dass
ich sie bereite! Ich glaube, zum Streicheln würde ich sofort vom Pferd steigen
und weite Strecken zu Fuss gehen, aber nicht um zu bereiten. Weite Strecken zu
Fuss gehen würde ich vermutlich für das Meiste ja eventuell sowieso nicht,
jedenfalls nicht für irgendeine x-beliebige Arbeit, das ist die Krux. Aber einfach so
gehen und spüren, wie die Kraft bei jedem meiner Schritte in meinen Körper
zurückfliesst, dafür schon. Dafür würde ich alles tun! Gehen, Streicheln,
Schreiben. Oder umgekehrt: Gehen zuerst, dann Schreiben. Dann Streicheln.
Das Problem ist nur, dass ich nicht weiss, wen ich streicheln soll, während ich
gleichzeitig mal wieder nicht weiss, was ich in meinem Curriculum Absurdum13
schreiben soll. Ich schreibe genaugenommen immer nur am Anfang herum.
Rambo Flottmann sagt, dass ich vielleicht in siebzig Jahren weiss, worüber ich
schreiben will. Also soll ich mit Schreiben noch eine Weile warten. Aber ich kann
nicht warten. Ich denke, mein Gefühl, mein Leben habe noch nicht begonnen,
wird erst schwinden, sobald ich Dichterin bin, was hoffentlich nächstens der Fall
sein wird.

((sinnlich) erlebt, eins: 2003/(sinnlich) (doppel)erfasst, zwei: in Inhalt: 2011/umstrukturiert in Inhalt und Wort, (technisch, kognitiv): 2014)

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