Portrait_Leila

Leila hat keine Beine. Also gar keine.
Ich weiss nicht, ob man so ein Portrait beginnt. Ist etwa nicht genug von Leila da, sonst? Seit fünf Jahren hat Leila neulich ihr zweites Date gehabt. Er aber hat noch ein anderes Date gehabt. Und da hat Leila ihn versetzt. Ich sehe Leila jeden Tag, aber ich kenne sie nicht. Sie ist schön und gepflegt, ihre Haare gehen biszu den Hüften, bis dahin, wo ihr Körper zuende ist. Ein äusseres Merkmal, das so offensichtlich ist, kann nicht übersehen werden. Dennoch sollte man unbedingt darauf achten, dass man Leila sieht. Dass das Interesse ihr gilt, und nur ihr. Und dass man ihr das zu erkennen gibt, in dem man mit ihr über das spricht, was sie vorgibt. Auf das eingeht, was sie preis gibt. Man kann Leila vielleicht kennenlernen, wenn man ihre gravierende äusserliche Andersheit stur ausser Acht lässt, zuerst. Man muss sich ein klein wenig Gewalt antun. Es ist schwierig, weil keine Beine haben eine so offenkundig sichtbare Anmassung darstellt. Sicher gibt es ähnliche unsichtbare Anmassungen im Innern des Menschen: ein Organsystem voller Intoxikationen, Geflecht von Tumoren, eine ganze Empathie, die fehlt, einfach herausgerisssen … etc. Aber all das ist dann gerade ins Unsichtbare gekehrt, und weil man es nicht sieht, offenkundig, kann man es verbergen, schade eigentlich: Berge von Zumutungen, Verwachsungen, komischen Landschaften, Normvarianten, kleine Organismen, die sich gerade verkrüppeln usw.

Und trotzdem! Trotzdem …. Leila ist mit ihrem fahrenden Stuhl schneller als jedes Velo. Ich habe festgestellt, dass sie immer inmitten der Strasse fährt. Dass sie niemals ausweicht. Einmal ist ein Auto gekommen, aber Leila ist nicht weg. Ihr rotes Kleid leuchtete, das Licht reflektierte ihren magentaroten Lippenstift, das Haar flatterte im Wind. Wo kann man hin, wenn man so schnell voran kommt? Habe ich gedacht. Wo kann man hin …?

 

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