Portrait_Regula

Fuck, ich bin in der untersten Seinsstufe!

Regula und ich trafen uns in der Tagesstätte für Psychos. Die Tagesstätte war das einzige unterschwellige Angebot, bei dem man für nur zwei Stunden pro Woche einer Beschäftigung nachgehen konnte. Regula hatte die körperliche Erkrankung, die hierzulande nicht existiert, ihre Augen waren blau unterlaufen.
Als wir den Ausflug mit der Tagesstätte machten, mit dem Schiff von Solothurn nach Biel, lag ich die halbe Zeit auf einer Bank und schaute zu, wie der Himmel langsam hinter dem Schiffskamin verschwand. Regula trat an mich heran und sagte: „Du hast diese Krankheit!“

Von da an wusste ich endlich die Wahrheit, und las mich in die Krankheit ein. Regula gab mir tagelang Ratschläge, was ich alles zu tun hatte, damit die Symptome weniger wurden. Ich merkte nicht, dass es ihr wichtig war, dass ich ihre Ratschläge umsetzte (Akkupunktur am Ohr, natürliche Hormone, Psychotherapie nach C.G. Jung usw). Ich war einfach froh, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem ich stundenlang über diesen dummen Körper reden konnte. Ich hielt Regula für meine Freundin!

Weil ich noch nicht so schwer erkrankt war, ging ich manchmal zu Fuss zu Regula, das Reden und Lachen mit ihr energetisierte mich so, dass ich den ganzen Weg von Ostermundigen nach Bern zurücklief. Habe ich wirklich diese Erkrankung? Ich hatte sie schon, aber es gab eben noch diese vielen Stunden, in denen ich frei war von Beschwerden. Und in diesen Stunden wollte ich nichts von der Erkrankung wissen! Ich wollte mit meiner neuen Freundin Regula unbeschwert zusammensein.

Als wir einmal telefonierten, sagte Regula: „Ich weiss nicht, was ich mit dir machen soll. Du willst keine meiner Ratschläge annehmen und etwas gegen deine Erkrankung tun. Die Erkrankung haben wir nicht einfach so, wir werden durch sie geprüft, da wir im letzten Leben Fehler gemacht haben. Jedes Leben wird uns Stufe um Stufe höher bringen und am Schluss werden wir frei sein. Du aber bist noch in der untersten materiellen Seinsstufe.“

Sie hatte all das überheblich und von Oben herab vorgebracht, als waschechte, fünfzigjährige Anthroposophin.
Ich wusste nicht, was sagen. Aber seither denke ich bei jeder Gelegenheit:

Dolly, du bist noch in der untersten materiellen Seinstufe! Daaaaruuum!!!!

Wie viele Menschen, die ich kennenlernte, musste ich feststellen, dass Regula nicht meiner wegen mit mir zusammengewesen
war, sondern nur, um mir etwas beizubringen.

Ich habe später unzählige Therapien versucht, aber mit C.G. Jung habe ich mich nicht beschäftigt.
Mehr und mehr glaube ich an den immensen Einfluss, der das Unterbewusstsein im Lauf des frühen Lebens
auf die spätere physische Gesundheit hat.

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