Glaubenssatz_Aus meinem Testimony_das Ausgleiten in fiktive Gewässer

Die Luft ist feucht und samtig. Wie gelöste Juwelen hüpfen die Wasserläufer über die Oberfläche des Flusses. Ich bin schon weit der Mündung gefolgt, als ich die Paddel zur Seite lege und mich zwischen Schilf und überhängenden Weiden auf den Rücken kehre. Dies ist vielleicht meine dritte Position an diesem Tag. Und weil ich meinen Brustkorb dem Himmel zugewandt habe, überkommt mich diese seltsame Schwere, die vermutlich nur die kennen, die ihre Senkrechte aus irgendeinem Grund verloren haben.

Was ist das für eine Sehnsucht, die einen Schiffer antreibt? Ist es das Abenteuer? Die Ferne? Frage ich. Ist es diese Sehnsucht fort von einem Menschen, der einen getäuscht hat oder das Gegenteil die Fahrt auf einen Menschen hinzu, mit dem man diese Ferne als Heimat erleben kann, auch weit draussen, im Strudel? Die Suche nach sich selbst kann es kaum sein, ebenso wenig die Suche nach Gold?

Dort, weit draussen, wo sich der Fluss öffnet und in eine Art See übergeht, erkenne ich so etwas wie eine fahrende Kolonne auf dem Wasser. Es könnten Containerschiffe sein, aber auch Kriegsschiffe und Tanker, turmhohe, gestaffelte Kasten, fensterlos alle, umgeben von Kabeln und schwarzem Rauch. Sie machen mir Angst. Sie sind so unbeweglich, obwohl sie doch Schiffe sind!? Kann es sein, dass sie sich gar nicht fort bewegen und immer in der gleichen Entfernung zu ihrem Ankunftsziel stehen? Weit und breit ist kein Hafen in Sicht und dieser steinerne künstliche Ufer-Wall, dort, am Horizont, kann nicht das El Dorado sein, das hinter Aguirres Stirn wütete.

Der Legende nach hat sich Aguirre in den verwinkelten Nebenflüssen des Amazonas verloren. Je tiefer er in diese hinein geriet, umso hilfloser, zorniger und paranoider wurde er. Wahllos verfeuerte er seinen Kanonen gegen das dicht bewaldete Ufer, doch die Finsternis der Fremde blieb, übertrug sich auf Truppe und Umgebung, von der sie meinten sie sei es; das Finstere.

Und nun gibt es diese Finsternis noch immer.

Aber wo? Doch nicht im hintersten Winkel eines so winzigen menschlichen Herzens? Ich visualisiere die Sterne, die sich langsam aus den unfertigen Gipsfugen meiner Decke schaffen. Gibt es die Sterne eigentlich? Gibt es sie für eine Frau, die alles nur begreifen kann, wirklich begreifen, wenn sie es sinnlich fasst? Ich denke ans Verschwinden und die Verschwundenen. Ich frage mich, ob mir irgendwann mal im Leben etwas verschwunden ist, einmal abgesehen von der physischen Kraft.

Erstaunlich, mir fallen nur die Socken ein, die Scheren, die Kaffeelöffel und immer wieder die Schlüssel.

(12.22)

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