Geschichte meines Lumpens_überarbeitet_die Hand


Die Hand

Für die Grossen gab es keine Kratzfäustlinge.
Warum eigentlich für mich?

Am Anfang begann das Greifen:
Am liebsten nach dem, was zerbrechen konnte.

Nanu! Liess ich etwas fallen, wurde es flugs vom Boden gestoppt. Ich wiederholte also den Akt, liess etwas fallen, mein Lumpen sah, wie es zerbrach und staunte: Soviel kann ich! Durch mich entstehen glückliche Scherben!

Drei Jahre war ich etwa an meinem Lumpen, da entdeckte dieser an mir das Daumenlutschen.

Ich kann gar nicht sagen, wie tief sich die Leere für meinen Lumpen anfühlte, als es hiess: dieser Daumen muss da raus!

Man hatte mich so eingemummelt, als hätte mein Lumpen mich gebrochen, statt bloss gelutscht.

In dieser Zeit träumte mein Lumpen fast jede Nacht, er hätte seinen Daumen verloren, und er suchte ihn überall.

Schlug mein Lumpen dann die Augen auf, lag der Daumen neben ihm in seiner Schiene auf der weichen Daune, und mein Lumpen weinte, weil sein Mund schmeckte, als
hätte er ein rostiges Gleis verschluckt.

Eines Tages, als mein Lumpen schon grösser war, die dummen Gewohnheitenverscheucht, betrachtete er mich prüfend und stellte kritisch fest: Lebenslinien sind da keine. Nur kleine Ritzen und Rinnsälchen ziehen im Zickzack magere Schneisen durch das leicht hügelige, schrumpelige Fleisch. Sobald ich eine Faust mache, wird alles verschluckt, wie von einem Stopfpilz.

Gleichwohl sagten sie meinem Lumpen, sagten sie über mich und meine damals zarte Feingliedrigkeit: das sind Künstlerhände.

Künstlerhände? Die fein ziselierten Linienprophezeien meinem Lumpen eine Zukunft ohne Ankommen! Ohne Halt! Ohne nennenswerte Tat! Voila.

Mein Lumpen kannte damals einen, der so klar und kräftig zugreifen konnte, dass er dem flugsmüden Kanarienvogel meines Lumpens einen Traum erfüllte:

er baute für ihn eine Seilbahn von der Panormastrasse hinab bis zur grossen Föhre in des Majors Garten.

(Der Major donnerte in seinem Auto einfingrig die Panoramastrasse rauf u runter und war nie da, so verwildert war darum sein Garten!)

Mein Lumpen sagte über solche, die löten, schrauben, instand setzen können, mit mir, ja, erfinden, oder einfingrig Autofahren, er sagte zu sich selbst:

Störe sie nicht beim Meditieren, diese Menschen! Sie können etwas bewirken durch Tat, das magischer ist als natürliche Flügel.

Bald stellte sich übrigens heraus, dass ich höchstens gut war im Trockentanzen. Da, in der Luft, wo ich nicht Gefahr lief, michzu verheddern, Nadeln zu brechen oder die Sauce zu versalzen.

Zeichnete Wellen, Schlangen und Schlingpflanzen, haarscharf an meinem Lumpen entlang, worauf dieser so tat, als wäre er wie Hyperion, aus Äther!

Dabei war er doch nur schwer zu fassender Athlet.

Ein einziges Mal habe ich einen Hang, der fast senkrecht war, von Steinen geräumt, die Erde oberhalb Maladers mit jungen Eichen bepflanzt.

Nie habe ich ein Kind in die Luft geworfen und mit beiden Händen wieder aufgefangen und auf diese Art das Selbstvertrauen
in meinen lausigen Lumpen verdoppelt.

Stattdessen warf ich einmal einen weissen Samthandschuh  in die Luft, betippte die Lippe mit meinem Klavierzeigefinger und verschickte einen Kuss in eine Richtung, die es nicht gab. Eine fingierte am flimmernden Highway usw.

Dann, viel später, habe ich mich einmal auf dem Herd verbrannt. Mein Lumpen war so im Schock, dass er nicht zeitlich reagieren konnte.

Also blieb ich dort solange liegen, bis er endlich wusste, was er an mir hat.

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