Frühe Diaries, 2003, the Jungfraujoch-Guy

7.3.2003

Kleiner, rabiater, nicht allzu feinfühliger Vulkan, this american-guy. Es war ein Frühlingstag mit Föhn und faserigen Wolkenschliern. Die Vögel flatterten in Scharen über unsere Köpfe, während wir Schlittschuh liefen- es war schön. Die wellige Kraft ihrer Flügel, synchronisches Fortbewegen. Und in mir der dringende Wunsch nach Bielmann-Pirouetten, einzig für ihn und meinen Übermut. Dann spielten wir mit einem kleinen Jungen am Fussballkasten und die Hand des Knaben war ganz klein und fischlig, als ich mit ihr Shake-Hands machte. Wir sollten schliesslich gegen Americano-Vulcano gewinnen. Suddenly we both lost everything. Only because I said, last night, stupid and drunk: let’s buy condoms and have sex. Wir waren so sprachlos. Ein riesiger Graben tat sich auf. Wir waren gestrandet auf einer Eisfläche, die ich als rau bezeichnen würde. Dann hatte ich ihm vorher noch ein kleines Liebesbrieflein geschrieben: I am a Child. I am an Angel. I cannot have sex except if you are playing my mother. I have Over-Consciousness. You must really help me to fuck! Es war nicht zusammenzubringen, das alles.

 

9.3.2003

Wenn ich bloss fliehen könnte aus der Gefangenschaft meines Kopfes! Darum will ich den Film im Leben haben und halte mich an verschiedene Rollen! Weil mich die Enge und Schicksalshaftigkeit des Individuum-Seins beelendet. Haut und Körper, Herz und Gehirn bleiben trotzdem das gleiche, welche Rolle ich mir auch ausdenke. Heute morgen erwachte ich und dachte an den Amerikaner? Wie können wir uns so nun eigentlich jemals wieder begegnen? Den ganzen Tag über hatte ich nur das Bedürfnis, abzutauchen und zu verschwinden. Im Kino ärgerte ich mich über die übertriebene amerikanische Darstellung von Gefühlen, und nur ein Satz den Virginia Woolf (gespielt von Kidman) in the hours sagte, blieb mir haften: „Es muss einer sterben, damit die andern das Leben mehr schätzen.“

 

11.3.2003

War auf dem Jungfraujoch heute. Gletscher türkisgrün, anthrazitene Spalten ein paar Meter vor der Abschirmung entfernt wie Blütenblätter ineinander verschachtelt. Doch im Berg: Kneipen, Bars, Toiletten, Uhrenläden, Museen. Das ganze auf 4000 Meter über Meer, ein Eisfirn, vergnügungstauglich gemacht. Als wäre die Stadt auf dem Joch! Nur ein Schild weist darauf hin, dass wir etwas langsamer Treppensteigen sollen, weil die Sauerstoffkapazität hier oben schlechter ausfällt. Keine Ahnung, was ich für das Kuhn-Malerbuch schreiben soll. Das Denken spricht sich mir nicht körperlich genug zu. Später: die Höhensonne hat mein Gesicht verbrennt. Wieder Wortfetzen von den letzten Tagen: „I don’t understand you. I don’t understand you. – „You don’t …. don’t …“ blaba.

 

12.3.2003

Gebt mir Materien, die ich formen kann, für die es sich lohnt, zu verbrennen und zu verblöden. Ich bin in der Stadt, überquere den Fussgängerstreifen und staune über jede Gestalt, die mir begegnet. Ich sauge mich voll mit diesen Wunder-Figuren, lieber als dass ich vor den Krokussen stehen bleibe. Ich wollte mit einem Mann zusammensein. Stattdessen habe ich Gott provoziert. Es ist auch eine Art Penetration, mit der Gott in mich eindringt. Bändige dich doch, statt mich bei lebendigem Leib zu verbrennen. Es ist deine Irre, deine Komplexität, die den armen Jungen zum Teufel gejagt hat. Wenn ich bloss ein Anwesen mit einem riesigen Umschwung hätte. Dann würde ich jetzt zu lernen, wie ein Tiger zu fauchen.

 

13.3.2003

Wo war ich? Mahler Sinfonie, No 4, Movement, ruhevoll. Ich hab sehr viel geblutet. Glitt dahin im warmen Schlummer mütterlicher Tabletten. Ich will nicht aufwachen an diesem Tag. Der Himmel hat seine Vorhänge zugezogen, ich vergrabe mich in den Violinen, ich komme nicht zurecht mit der Hässlichkeit, die jenseits dieses gesponnenen Kokons allem lauert. Dieser Himmel hat seine Vorhänge zugezogen, ja. Aber diese Violinen öffnen den Himmel doch wieder. Und die Vorhänge, das sind die Tränen, die einem kommen über Mahlers Sinfonie, adagio Nummer Vier, über diesem wandernden wankenden unfassbaren Schiff. Erst wenn der letzte Ton fällt, kann ich die Erschütterung wieder abschütteln. Nein, eigentlich gehe ich aus dieser Sinfonie hervor wie frisch, aber zu lange gebadet.

 

15.3.2003

Eigentlich habe ich keine Interessen aussser mich selbst, Essen, Trinken, Schlafen, Spazieren, Schreiben und mich Verlieben. Fehlt etwas, geht es mir mies. Oder ich langweile mich. Bin ich so einfach gestrickt? Wie kann es dann sein, dass ich so oft unglücklich bin? Ich fürchte, ich bin zum Einfachgestricktsein auch noch kompliziert! In dieser riesigen, unfassbaren Gottlosigkeit komme ich mir vor, wie ein ruinierter Motor! Gleich zwei Traumas scheinen mir plausibel, erstens: dass ich mich trennen musste von Mami. Und zweitens: dass ich mich Trennen musste vor der Illusion Gott.

Seit mir das klar wurde, habe ich verstanden, dass Männer an mir wohl nur Scheitern können respektive umgekehrt. Denn zuerst kommt das Mami. Dann kommt Gott. Und erst dann kommt der Mann. Errette mich doch jemand von der Sucht solch stupider Gedanken! „I love your bones.“ Sagte er. Was hier west, ist der Knochen?

 

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