Diary_3004_über meinen Glaubenssatz und das Schreiben

Wenn Literatur auch eine Art sportliche Performance ist, dann habe ich im Winter 20/21 meinen Höhepunkt erreicht. Seither kann ich mich eigentlich nicht mehr entwickeln, sondern regrediere und wachse sprachlich, kognitiv, mental und emotional zurück. Dass ich die Grenzen meines Möglichen erreicht habe, enttäuscht mich sehr, aber ich glaube, dass „Ausdruck“ ein Akt des gesamten Organismus‘ ist (des Körpers) respektive ein Akt des gesamten Organismus, überzogen mit „Poren“, zugeneigt dem grösseren Organismus (dem Aussen). Und dass es keine Entwicklung geben kann, wenn beide diese Bereiche unterbrochen und abgetrennt sind vom Nabel des Wachstums resp der Ernährung respektive wenn der Austausch und die Wechselwirkungen gestört sind durch physisches Sterben sowie mangelnde Ernährung und Rückernährung durch den Austausch mit der Aussenwelt. Seit längerem verlerne ich mehr und mehr die Geschmeidigkeit mit dem ABC, weil ich einen Widerwillen habe, die Bücher zu lesen, die ich hundertmal schon las sowie: einen noch grösseren Widerwillen, Bücher zu lesen, die frisch auf dem Markt sind, was mir sehr, sehr schlechte Laune macht! Ich muss nämlich mein Geld mehr und mehr ein bisschen clever benutzen, und im Gegensatz zu jedem überflüssigen Fummel, reut es mich finanziell furchtbar, ein mittelmässiges Buch zu lesen, nur, um mich von der grossartigen Schreibtechnik eines hochgejubelten Schriftstellers zu überzeugen. Ich bin ein „Anderer“ aus „anderer Zeit“ und mag einen dichterischen Ausdruck, der mich erschüttert, der mir weh tut, der intim ist. Aber ich lese nie was Intimes mehr, vielleicht bin ich auch einfach weg vom Fenster und weiss nicht mehr, wo ich etwas Modernes finde, das mich berührt. Oder es ist vermessen, noch eine Art Gefühlsjunkie zu sein, ich meine, echte Schmerzen zu erleiden beim Lesen eines Buches. Ich versuche ein wenig an meiner „Quarantäne“ zu schreiben, aber ich komme absolut nicht vorwärts, weil ich mich der physischen und mentalen Stringenz und der Anspannung verweigere, die es benötigte um dicht und kraftvoll Prosa zu schreiben. Es ist scheissegal, sage ich mir. Lass es laufen, lass es scheissegal sein. Dies ist deine Herausforderung, nebst einer gewissen Limitierung von Chips und Schokolade: schick deine Leidenschaften zum Teufel! Behandle sie wie alte Freunde, die einen hundertmal enttäuscht haben, aber gleichwohl hat man keine anderen! Das ist das Leben! Dass man das nicht erreicht, was man für sich erstrebt hat, aber wenn man Glück hat, irgend etwas anderes, von dem man eigentlich gedacht hat, dass es unerheblich ist. Ich hab auch gerade kein konkretes Beispiel, ausser die Unerheblichkeit der Leidvermeidung, die immer wichtiger und elementarer wird im Gegensatz zur Leidenschaft. Also Frieden, Frieden, Frieden irgendwo in sich selbst und abgekapselt von der Aussenwelt, weil es dort absolut keinen Frieden und keine Versöhnung gibt für ME-Betroffene (und viele andere Verarschte). Dennoch ist diese Enttäuschung über mich selbst ein bleiernes Gewicht, eine Art Sedativa tröpfelnden Schocks, weil ich nach wie vor immer noch finde, dass ich so „lebensunfertig“ und unfertig für das Kommende, nach dem Leben bin. Ich glaube zwar nicht, dass das irgendwie relevant ist, weil nichts mehr relevant ist, am Schluss, ausser: keine Furcht mehr zu haben. Ja, dies ist das A und O und ein anderes Lebensziel ergibt sich mir im Moment nicht. Die Angst ist überhaupt der einzige wirkliche Motor, dass man arbeitet und sich bemüht, eine Arbeit sorgfältig zu machen. Aber zuviel davon in den ersten zwanzig Jahren ist tödlich. Und man kann dann nur noch ausbaden, ausbaden, ausbaden. Wie gesagt, ich brauche das Schreiben nach wie vor wie eine „Droge“. Aber zwischen einer Droge und einem Gott ist ein mächtiger Unterschied! Gutenacht, mein kleines Diary!

(12.9.21)

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