Diary_3004_Morgenspaziergang in einer steinbeck’schen Landschaft

Heute Morgen um halb Neun spazierte ich los, um mir alles anzusehen, die trockenen Stoppeln der Wiesen mit den gebogenen Halmen, das Gestrüpp und die wenigen Blumen, die Hälse des Klatschmohns und kleinen Margeritten, Gräser wuchernd im Beton. Schafe, friedlich unter dem Holz, Stille, Luft bereits warm, aber erträglich, so kleidlos und nackt wie ein Wiesel fühlte ich mich, fröhlich und froh um diese halbe Stunde ohne menschliche Geräusche, nur ich und mein Kleid, nackte Füsse, und was von dem kleinen Stück Natur, das mich umgibt, übrig bleibt.

Ich verehre eine Natur, mit der ich niemals arbeitete, ein Feld, ein Baumknorpel, ich verehre, woher ich komme und wovon ich ein Teil bin, wenn ich es denn verstünde. Niemals habe ich körperlich gearbeitet, zugesehen, wie etwas wächst, das ich von Hand pflanzte (ausser ein einziges mal, 2006, im Bergwald), niemals bin ich abends ins Bett gefallen, müde von der Arbeit, ausgelaugt, aber erfüllt von einem Sinn, nein, ich wuchs auf in eine Zeit, die bereits abhob, und ich glaube, meine Hybris ist eine Folge dieses Abhebens der damaligen Zeit, der Achtzigerjahre. Das Sinnbild ist für mich die Challenger, die Rakete, die damals durch den dicken, kleinen Flimmerkasten prustete, Feuer am Hintern und oben eine Spitze, die durchstarten will, aber kurz nach dem Start explodiert.

Wir, damals, in der Schule, wir, die Grossen, waren alles kleine Challengers, fest und solid das Gehäuse, innendrin alles technische Machbarkeit. Aber ich, nur ich, habe schon von anfang an diese Fehler in der Technik gehabt, ich verfehlte den Start und blieb liegen, hocken, es störte mich weniger, dass man auf mir rumtrampelte. Ich war wie von einem Fieber gepackt, das Leben zu fühlen, sinnlich, an meinem Körper, zu spüren und zu erfahren, was sich jenseits der Mechanik befand, ich war, sozusagen abgehoben auf eine andere Weise, glückssüchtig, liebessüchtig, im Entferntesten sogar rauschsüchtig…..

und weil es davon nicht viel gab, wurde ich auch süchtig nach meinem eigenen Leiden. Ich hielt es für gross, bauschte es auf, je weniger man danach fragte. Es fehlte nicht viel, und ich hätte vom Leiden wieder ins Glück gewechselt, ich suchte einen Menschen, der mich entdeckt und sich liebevoll über mich beugt, gleichzeitig aber ging ich schon meinen eigenen Weg, weit weg von allem, weit weg, von der Möglichkeit ohne diese höllische innere Verspannung Menschen zu vertrauen. Ich dachte nicht daran, dass aus mir nichts werden könnten, niemals dachte ich das, so kompromisslos versunken in mich selbst war ich, so wenig interessierte mich der Alltag, die Schule, Bildung, die Welt, der Sportverein usw. In dieser Blase wurde ich Zwanzig, als mein Körper, der doch die ganze Zeit gerast war, den Geist aufgab. Lorbeeren gab es keine zu pflücken, nie wieder, seither. Ich hatte gewusst, schon früh, wie wichtig es ist, physisch, sinnlich und energetisch wohl zu sein, mir war klar, dies war das ein und Alles, schon bevor ich es verlor, weil ich ja doch das Challenger-Sein implementiert bekommen hatte, weil ich ein Hohlkopf war mit Ehrgeiz, von dem man dachte, er kann nur faulenzen, nur träumen, nur grübeln, träumen, grübeln wie Hans Castorp, und der doch nie Ruhe findet, der werdende Ingenieur, auch nicht in seinen kranken Tagen im Sanatorium, für Jahre, in seinen Gedanken oder in seinem Körper, niemals.

Die grossen Gefühle liefen resp fühlten ins Leere, und zurück blieb die Leere, aber je kränker ich wurde, umso lieber wurde mir wieder die Natur über die Kultur, dieser zerstampfte und malträtierte Boden, von dem ich nie gewusst hätte, wie er mich ernähren würde und den ich nicht kenne. Damals, als die Okis wegen der Dürre nach Kalifornieren flüchteten, wurden sie Aprikosenpflücker, daran habe ich heute morgen gedacht, und ich habe mich umgesehen nach den Aprikosenbäumen, aber ich fand nur ein paar Meertrübeli, vertrocknet am Strauch. Ich ging ums Haus, lautlos und stellte mir vor, ich sei ein Wanderarbeiter mit einer Mundharmonika in einem zerrissenen kleinen Stoffbeutel, mit halb verdeckten, muskulös definierten Hüften und Schenkeln, gegerbte Haut und strahlende Augen. Ich wollte weit zu Fuss gehen über staubige Strassen, singend und froh, weil alles leicht ist in einem Körper, der kein Gewissen hat, nur sinnlichen Hunger. Aber bald wurde es heisser, schon gegen neun Uhr, und ich kehrte zurück von meinem Spaziergang ums Haus und kehrte in mein Studio.

Ich verehre die Natur, weil die Kultur, in der ich lebe, meines Erachtens, auseinanderbricht. Ich verehre die Natur, weil sie nicht zu vermenschlichen ist, weil sie mich beruhigt und an etwas erinnert, das ich nicht kenne: ein Leben mit der Natur.
Früher oder später wird mein Körper nachgeben und der einzige Ort, wo ich nicht gestört werde, hoffentlich, wird irgendwo in
der Natur sein. Aber bis dahin fühle ich immer noch diese kleine Challenger in mir. Ich müsste besser werden im Schreiben, mehr schreiben, wieder einen Roman, diesmal besser schreiben usw. Nur die Liebe könnte die Challenger richtig positionieren.

Was machen wir noch mit unserem Boden. Nichts von diesen elementaren Abläufen der Nahrungsherstellung von der natürlichen Ressource zu einem kaufbaren Produkt, ist mir präsent. Wäre es möglich, draussen in meinen ein Meter langen Gartenbeet eine Kartoffel zu pflanzen? Würde sie wachsen? Würde ich sie so behandeln können, dass sie eine Kartoffel wird?

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