Diary_3004__ and Houellbecq

Heute wird mein fünfjähriger Facebook-Akkount gelöscht. Es ist ein bisschen, als würde ich nun endgültig die Stadt verlassen, durch die ich einstmals bummelte, um mich abzulenken und etwas Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Diese Stadt war zwar ein Panoptikum, in dem jeder jeden beobachten konnte, aber bis auf einige wenige (2 vielleicht), hab ich niemanden anhalten können, hat mich niemand anhalten können. Zum Bleiben verweilen. Am Schluss war mein Stadtbereich ausgestorben und ich verwildert vor sozialer Isolation, unfreundlich, ruppig und manchmal sogar respektlos.

So, wie es aussieht, habe ich hier auf WP einen Webcrawler, der mir zeitweise bis zu 480 Aufrufe beschert. Normalerweise habe ich pro Woche vielleicht zwischen zwei und fünf Aufrufe, gerne auch Null für viele Tage, wenn ich nicht aktiv bin. Diesen Webcrawler kannte ich bisher nicht. Offenbar ist es eine Art Zombie, der das Web durchcrawlt, und was Crawlen ist weiss ich ja, obschon ich es nicht verstand.

Ich habe es geliebt, an heissen Sommernachmittagen Längen im mintblauen Chlorwasser zu schwimmen. Meine Schwimmzüge waren langsam, lang und tief. Ich glitt unter der Wasseroberfläche dahin und hielt den Kopf ab und zu an die Luft um zu atmen. Der Atmen stimmte sich auf die Schwimmzüge ab, und manchmal blieb ich nach einem Schwimmzug fast stehen, ich meine Liegen auf dem Wasser, es fühlte sich an, wie in eine Trance hineingleiten und dann einen Moment reglos auf dem Wasser getragen zu werden; eine Art toter Punkt. Nur ab und zu schwappte einem dann halt der Duft alter Plomben aus dem Mund einer andern Brustschwimmerin entgegen oder ein sauer parfümiertes Haarnetz. Oder aber, das altbekannte Problem: es waren soviele Brustschwimmer unterwegs, dass man wohl oder über die Bahn wechseln musste zu den Crawlern.

Ich habe also einfach mal so getan, als wüsste ich, wie es geht: eine Art Paddeln, wobei der Arm über den Hinterkopf langt und damit den Körper zur Seite zieht, einmal nach rechts, dann nach links. Ich bin nicht gerade jemand, der sich auf dem Wasser räkelt. Aber was ich  mit dem Kopf, den Füssen und geschweige den Händen machen musste beim Crawling, wusste ich nicht. Ich versuchte einfach, mich in eine Art Propeller zu verwandeln und staunte, dass ich vorwärts kam.

Ich habe hier unter den Kommentaren bisher 10634 Spamnachrichten oder Nachrichten, die ich nicht zuordnen kann und von denen ich nicht weiss, wie sie unter meine Texte geraten sind. Ich habe aufgehört, diese Nachrichten nach „echten Menschen“ abzusuchen, daher kann es sein, dass ich, all Schaltjahr einmal, einen Kommentar verpasse, der von einem echten Menschen kommt. Das ist tief bedauerlich.

Mein Webmaster hat gesagt, dass er diesem Webcrawler mal nachgeht und herausfindet, woher der kommt. Aber es ist ja, so wie ich das verstehe, eine Art Programm. Keine Ahnung.

Ich habe zurzeit auch meinen Youtube-Channel deaktiviert und die Inhalte gelöscht, weil ich durch den Verlust eines Menschen und die gesamte Lage in einen tiefen, tiefen Brunnenschacht hinabgestürzt bin. Ich kann mich von diesem Loch unten selbstverständlich nicht nach oben Produzieren. Sich zu produzieren verlangt diese Spur Schnoddrigkeit und Dreistheit sich selbst gegenüber, es verlangt, die narzisstische Freude an sich selbst.

Ich sollte selbstverständlich unbedingt weiterhin Narzisst bleiben und mich Freuen am Mich-Produzieren, da ich gar keine andere Wahl habe, wo ich in keiner Gemeinschaft lebe, beruflos bin und haus- respektive Bettgebunden.

Aber das dauerhafte Schweigen der angrenzenden sozialen Welt (auf den sozialen Medien) ist natürlich darauf ausgerichtet, meinen Narzissmus zu brechen, und es ist ihnen auch schon fast gelungen. Dabei ist der Narzissmus lebenswichtig, auf jeden Fall, wenn die normale Verbindung zu Menschen aus diversen Gründen durchtrennt ist.

In meiner Welt würden die Menschen sich auf social Media preis geben, sich produzieren, etwas von sich zeigen ….. nicht, um beklatscht zu werden, sondern, um den Austausch unter Menschen zu bereichern. Um die Verführung und Subversivität an diesen eindimensionalen Ort der Infomasse zu bringen.

Aber in meiner Welt ist nichts mehr in Ordnung.
Ich fühle mich mit Füssen getreten. Ich fühle, wie meine Vision erlischt.
Ich leide Qualen, die sich in Schubkarren über mich ausleeren.
Ich sehe, dass mein Lebensentwurf „out“ ist, die Welt da draussen hat diese etwas „romantische Idee“ aus den Neunzigerjahren:
„Ich möchte wie ein Lebenskünstler leben“, mehrfach überholt mit ihren harten Faktenlagen. Anfangs blickte ich nicht hin, instinktiv vielleicht, eventuell weil ich wusste, dass ich mich dann, wenn ich einmal in die Welt hinausgeschaut habe; und zwar über die westliche Welt hinaus; der Dekadenz bezichtigen muss.

Ich versuche mir zu sagen, dass die Umgebung und diese „Werte“, die dieser Westen hochhält, meine Dekadenz noch gefördert hat;

dieser unglaubliche Wohlstand, in dem man ersäuft, der wie ein Bollwerk wirkt. Und daneben diese eisige menschliche Kälte.

Aber das ist keine Rechtfertigung.

Das Menschsein insgesamt, aber auch mein Menschsein ist mir nicht mehr geheuer.

Ich liege stundenlang da und überlege nach einen Ausweg: wie könnte ich mich verwandeln, ohne meine Glieder betätigen zu können?

Gibt es keine Arbeit, die ich verrichten könnte gegen Geld, daheim im Bett liegend, wo ich unterschwellig denken und nur die Finger bewegen muss?

Wohin könnte ich verreisen, um an einem andern Ort zu sein? Und ein Gefühl dafür bekommen, ob ich überhaupt noch einen Ort habe oder nur noch Tränen. Ich müsste aus mir herausgeholt werden, ich müsste Theaterspielen mit einer Gruppe von Leuten,
Ich müsste Essen ausschöpfen können an einer Notschlafstelle … ich müsste in aller Früh mit der Bahn verreisen können, um nachmittags auf dem Gipfel eines Berges zu sein, dessen Aussicht ich noch nie gesehen habe …..

…. alles was Kontiuität erfordert ist unmöglich, da ich nur sporadisch präsent sein kann. Verwandlung ist schwerlich möglich, da sie meiner Meinung die physische Bewegung voraussetzt, das Verlassen des Ortes.

Ich muss aufbrechen, aber ich weiss nicht wie, nicht, wohin.

„Es gibt Menschen, die spüren schon früh eine erschreckende Unmöglichkeit, auf sich allein gestellt zu leben. Ich räume ein, dass ihre Existenz eine Ausnahme von den Naturgesetzen ist, nicht nur, weil sich dieser Riss der fundamentalen Nichtanpassung ausserhalb jeder genetischen Finalität vollzieht, sondern auch wegen der exzessiven Hellsichtigkeit, die die Wahrnehmungsmuster der gewöhnlichen Existenz offenkundig überschreitet. Es genügt manchmal, ihnen einen andern Menschen gegenüberzustellen, wobei dieser ebenso rein, ebenso transparent sein muss wie sie selbst, damit dieser unhaltbare Riss sich in ein leuchtendes Streben auflöst, das beständig auf das absolut Unerreichbare gerichtet ist.“ (Michel Houellbecq, „Ausweitung der Kampfzone“, 1994)

(8.4.2022)

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