zum Verschwinden_mein Manu am Tiefpunkt

Heute habe ich die Hälfte des Romanes einem Freund vorgelesen. Und schon nach etwa zehn Seiten hatte ich den Eindruck, in der Falle zu sitzen. Ich habe noch dreissig weitere Seiten vorgelesen, aber es hat nichts verändert: ich kann schlicht nicht mehr denken ausser in winzigen zerhackten Fragmenten— so, wie ich noch leben kann— zerhackt— in winzige Fragmente— alles andere ist Dunkel. Ich weiss nicht mehr, was ich geschrieben habe über so viele Seiten, denn bereits in einem einzigen Satz ist genau besehen so viel drin, dass es unmöglich ist über einen ganzen Text Rechenschaft abzulegen— Rechenschaft, im Sinne, dass ich noch die Kontrolle hätte, und diesen Text abgebildet wäre in meiner Erinnerung wie ein einziges lückenloses Bild, eine einzige lückenlose Emotion. Aber eben, es ist ein Text, eine intellektuelle Arbeit, die auf das Herz abzielt über einen Handlungsaufbau und also wiederum über den Intellekt… und dieser Intellekt, der einen Handlungsaufbau kontrollieren könnte, besteht nicht, da es keine Handlung und kein Denken in Zeit für mich gibt, nur Versatzstücke, nur der Satz Eins, ein weiterer Satz Eins, ein dritter Satz Eins usw. Nach zehn Seiten also, habe ich das Gefühl gehabt, dass ich da noch nichts gesagt habe. Und selbst nach vierzig Seiten, wo ich  ab und zu das Gefühl hatte, der Essenz zu begegnen, über winzige Abschnitte oder eben einzelne Sätze, fühlte ich mich vernichtet. Zum erstenmal überhaupt denke ich ernsthaft daran, diese Sache überhaupt nicht zu publizieren, ganz einfach, weil die Zeit, da ich denken konnte— von der Erkrankung her—- längst überschritten ist, und da dieses Dokument nur noch eine konfuse Zusammenstellung von Versatzstücken ist. Es ist aber so, dass ich genauso, wie ich diesen zweiten Prosateil schrieb, — geistig blind— in den letzten drei Jahren Prosa las, lange Prosa, Geschichten und Romane also gar nicht mehr erfassen konnte weder Handlungsabläufe noch Zusammenhänge über so viele Seiten. Wie könnte ich etwas publizieren, wenn ich gar nicht mehr weiss und verstehe, was ich geschrieben habe, einerseits und andrerseits, die zweite Einsicht, dass all die Seiten, die ich las mich selbst kalt lassen— so kalt, wie Worte einen kalt lassen, sobald einem das Herz qualvoll verbrennt. Ich wollte schreiben— wollte meine Autofiktion schreiben, aber ich verlor darüber so viele Jahre, so viele Gefühle der Intensität, der Leidenschaft, des Rausches, dass überhaupt nichts mehr übrig bleibt, als schäbige Worte. Und Scham. Es gibt keine Romanstruktur, keinen Handlungsablauf, der die Geschichte tragen könnte, ich bin an diesem Problem verzweifelt und schliesslich versteinert, ich kann nur entscheiden: will ich diesen mittelmässigen Scheiss publizieren, weil es Arbeit ist, immerhin, schlechte, aber leidenschaftliche Arbeit— aber nein, diese Leidenschaft ist nicht in den Text übertragen—- oder will ich die wenigen Sätze ausschneiden und einfach so, hier, zb., auf die Seite stellen. Eins aber weiss ich, dass, wie ich es auch mache, es sinnlos ist und nichts mehr damit gerettet werden kann. Dass ich höchstens noch versuchen kann all die Jahre des Schreibens und Hoffens, einen schwammigen, feinstofflichen Ausdruck in Prosa zu tauchen und somit sichtbar zu machen zu vergessen, mit der Zeit zu vergessen, welchen Weg des Errors ich einschlug und wie ich keine andere Möglichkeit mehr hatte, zum Schluss, als in der Sackgasse weder vor- noch zurück zu strampeln und also einfach noch an Ort und Stelle zu trampeln. Zu viel— alles stand damit auf dem Spiel— daher dieser verkappte Monolog, der sich selbst verschluckt—- die meisten Teile des Manuskriptes sind verjährt—- die anderen nur noch Gestammel ohne Sinn und Logik, aber vor allem, ohne Kraft, wie Sterne, die verpuffen, sogleich sie für Sekunden erstrahlt. Ich weiss nicht, aber ein grösserer sinnlicher Reiz, der in mir wütet, wie ein Vulkan, mich verschlingt, macht diese Sätze für mich zunichte, entleert sie des Marks. Es könnten exakt Stenografiezeichen sein—  dabei ist das alles geschrieben im Rausch und der Selbstüberhöhung— aber sobald es geschrieben war– das wusste ich doch schon— kommt das Aufwachen. Diesmal war das Aufwachen brutal: Seiten lesend in Kohlenstücken, kalt und tot. Ich hasse es, zu wissen, dass so eine läppische, kleine Arbeit aus einem solchen Verlangen und Anspruch entstanden ist, etwas Grösseres zu erschaffen aus dem Kleinen, denn der Anspruch selbst ist es, an dem ich ja komplett versage, auch. Diese Arbeit bleibt ein Training, mit dem ich nicht zu einem Ziel gekommen bin, weil ich nicht gut genug bin, denn ich habe den Leser nicht berührt, nicht erschüttert. Er sehnte sich nach wenigen Seiten Vorlesen nach einer Zigarette. Hahaha. Und ich habe das so gut verstanden. Ich selbst hatte dermassen die Schnauze voll nach zehn lahmen, einleitenden Seiten, dass ich mich am liebsten in den Schlund einer Wagner Oper geworfen hätte und nie, nie, nie wieder aufgetaucht in dieser fürchterlichen Nüchternheit, mit der einen Sprache täuscht und nichts als täuscht, wie Wetterlaunen. Hat nicht Christian schon gesagt, damals: Ich höre nicht deine Sätze, ich höre nur deine Stimme. Ja, aber Sätze auf dem Papier sind Sätze, sind nicht nonverbale Gesten, sind nicht Stimmen, die den Gesten, den Sätze erst das Leben schenken. Dies (Romanschreibenwollen) ist kein Medium für Verzweifelte, kein Mittel für Träumer, kein Traum zum Erwachen. Ich tendiere eher dazu, die Arbeit doch noch fertig zu machen, und sie unvollkommen, ja, mittelmässig und sich selbst entglitten drucken zu lassen, einfach, weil ich dann tatsächlich nicht mehr daran arbeiten kann, die Arbeit dann endlich für mich verloren ist. Wie soll ich mich sonst frei machen? Aber, ja, eben: wird mich das überhaupt noch frei(er) machen. Oder weiterfolgen, jagen, quälen— dieses Gefühl, einen Kompromiss versucht zu haben mit meiner eigenen Grenze. „We have come so far….“ (Sylvia Plath in Edge) Aber ja, für mich ist dies die komplette Implosion, die Rückverwandlung meines Überblicks über meinen winzigen Radius in ein Gaga-Dada. Vielleicht ist es Demenz, da wir ME-Betroffenen ja an Demenz leiden, ja. Es fehlen ganze Verbindungsstücke im Denken. Und die Gefühle sind kurze kleine Habichtsschreie.

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