Warum nicht? Die einzelnen, frühen Kapitel lassen sich nicht in ein spätes Kapitel integrieren, da sie zu gross sind, also inetwa jedes Kapitel bei mir dieselbe Seitenanzahl hat. Die Chronologie der Kapitel stellt einen zeitliche fixen Verlauf dar, übertragen gesehen eine innere Entwicklung der Protagonistin zwischen 25 und 45 Jahren.
Wenn ich diese frühere Protagonistin nicht mehr in meinem Buch haben will, dann muss ich zweifellos eine andere Geschichte erzählen. Ich hatte kurz die erlösende Idee, zwei Romane aus dem „Glaubenssatz“ zu machen, nämlich den zweiten Roman dort einzusetzen, wo die körperliche Erkrankung die psychische Auffälligkeit/Diagnose ablöst resp der Fokus nicht mehr auf der Persönlichkeit der Protagonistin liegt, sondern auf den gekippten Lebensumständen/der Lebensungerechtigkeit durch die nicht erforschungswürdig erachtete Daliege-Erkrankung Myalgische Encephalomyeilits. Durch diese Erkrankung kommt ein Element von der Aussenwelt hinzu, eines,das sozial wichtig ist im Gegensatz zur Erlebniswelt einer schrulligen Borderlinerin.
Das Problem, mit dem ich mich also seit etwa drei Jahren herumschlage, ist die innere Stimmigkeit der Figur selbst.
Diese lässt sich nicht herstellen zwischen: A: Anpassungsstörung/Borderline/frech/Selbstverwirklichung/Leben nur für die Kunst und B: dem äusseren Rahmen der primären?sekundären Erkrankung ME, die ein Politikum ist und die Protagonistin „aufwerten“ sollte.
Ich glaube nicht, dass jemand mein Buch lesen würde, dass aus A besteht (und schon gar nicht auszeichnen), weil psychische Tunichtgute in der Kultur gar nicht ankommen können. Ich weiss aber, dass ich mit B eine Geschichte des Unrechts erzählen könnte, aber dann ist es eine andere Geschichte. Leider reicht der Lebensstoff nicht für 2 Geschichten, zurzeit habe ich keinen mehr, da seit Juni sich nichts mehr in meinem Leben ereignet hat. Und sich auch nichts ereignen kann ohne eine dringend notwendige Invasion der Aussenwelt in meine Eigenwelt. Bisher finde ich nicht heraus, wie ich das bewerkstelligen soll, und der Drang, aus diesem Leben zu rennen, das von einem bettlägerigen Körper diktiert wird, kreuzt in regelmässigen Abständen meine Intentionen.
Einen Teil des Buches und also der ursprüngliche Glaubenssatz schreit es förmlich nach einem Ende, einer Abtrennung und Loslösung von mir. Aber gleichzeitig ist der zweite Teil nur eine Fortsetzung desselben, und also fühle ich mich gezwungen, den Glaubenssatz als Lebenswerk mit mir weiterzuschleppen, obschon ich mir nichts mehr wünsche, als etwas komplett Neues zu schreiben, was, wie ich angedeutet habe, oben, gar nicht geht.
Wenn ich nur dieses eine Buch „Glaubenssatz“ gemacht haben werde, dann ist das penible darüber nachdenken natürlich die logische Vorgewegnahme, des Nichts, das mir längst blüht ….. der Tod der Inspiration ….. das Wegfallen meines letzten Elixiers.
Den Glaubenssatz wieder umstellen und eine neue bessere Form finden, kann mir das Gefühl suggerieren, dass ich nochmals gebraucht werde. Aber aus Erfahrung muss ich davon ausgehen, dass das Resultat, wenn ich es denn versuche, über dem Strich nicht besser sein wird als das alte. Gewisse Dinge, v.a. Sprachliche, an denen ich monatelang, jahrelang bastelte (v.a. drei erste Kapitel) werden verloren gehen zugunsten eines süffigeren Texts, der nur eine einzige Zeitlichkeit kennt: das Jetzt und Heute. Dies bedeutet, dass ich diesen Roman nur von rückwärts neu zusammenstellen kann, weil die alten Kapitel … ja, die meisten Kapitel sogar nicht im Hier und Jetzt sind und schlimmer: die Stimme, die diese Geschichte erzählt, anfangs, nicht mehr die meine ist, wie sie jetzt ist. Und das ist der Punkt, den ich nicht ertrage.——
Fazit: ich habe zu langsam geschrieben resp zuwenig erlebt, um schneller schreiben zu können resp, jemand von den beiden Anwärtern hat den Andern überholt: entweder die Zeit mich und meinen Ausdruck oder umgekehrt: ich die Zeit.
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Trotzdem sehe ich im Moment keine Möglichkeit, mein Curriculum Absurdum, wie mein Glaubenssatz auch heisst, von diesem Punkt, der jetzigen Stunde heraus, aufzusetzen.
Ich gebe mir eine Woche Zeit, um weiter darüber nachzudenken. Dann werde ich aufgeben, und die alte Version, den „Glaubenssatz“ als ein Entwicklungsroman mit in sich geschlossenen, zeitlich aufeinander folgenden Kapiteln, Prof. R. Sorg zum lesen schicken.
Wenn sich aber die alte Version für mich als „Aufgeben“ anfühlt, dann muss da ein Traum sein von einer zwingenderen Romanstruktur!!!
Oder aber es ist eine Einbildung, weil ich mir nicht eingestehen will, dass ich an meine Grenze gekommen bin, die Sache loslassen muss. Ich wünschte, man würde mir die Arbeit vom Leib reissen.
Aber genau das wollte ich ja, damals, als junge Frau, nach der desolaten Schulzeit: ich wollte einer Aufgabe nachgehen, in der mir niemand dreinredet, die so sehr durch mich selbst bestimmt wird, dass eine Beurteilung schwer wird. Wenn das hier nun diese Aufgabe ist, die ich mir gegeben habe, dann fühle ich jetzt den Nachteil: nicht mehr weiter zu wissen. Und doch kann nur ich das Schlamassel lösen. Ich selbst muss zu einem Abschluss finden, einem: Es ist genug! Ich muss im Gehirn einen Stoppschalter haben, der nicht wieder die plötzlich neu auftauchende Möglichkeit eruiert, den Bestand dadurch verwirft. Aber ja, das ist es eben: ich will ja keinen Bestand! Ich will etwas, das frischer ist als Bestand! Und dazu müsste ich einen Blitzroman schreiben, der identisch ist mit meiner jeweiligen Entwicklungsstufe!
Und jetzt: momentan: kann ich überhaupt keinen Satz mehr an meinem Glaubenssatz schreiben.
Jetzt ist da Blackout.
(PS: Henry, du, mein einziger Leser, bist du noch auf Stromboli? Komm bald wieder zurück und leihe mir fruchtbares Ohr und winddurchflutetes Herz.)