Hab ich etwa geträumt, letzte Nacht?
Vom unheimlichen Haus unten am Bahndamm, da, wo die Strasse eine scharfe Kurve macht, hinein verkrümmt in den Felsen. Ein schroffer, sonnenloser Anblick, wie die alte, uralte Frau, die das Haus bewohnte, am Morgen im Dunkeln einen Wagen hinter sich zog über die Gleise, zwei grosse metallene Bottiche drauf, beim Seiteneingang der Dorfwirtschaft Löwen jenseits des Bahndamms verschwand, schroff und in sich verkrümmt ….
Wir Kinder haben nie erfahren, ob die alte Frau mit den Speiseresten, die das Restaurant ihr überliess, ihre Säue ernährte oder doch sich selbst …
Wagten nicht in ihr verhärmtes, zerfurchtes und doch irgendwie unmenschlich wirkendes Gesicht zu blicken, wenn sie in umgekehrter Richtung an uns vorbei auf ihr buckliges Haus zu ging, das nie ein Sonnenstrahl erreichte. Behaftet mit schwer wiegenden Geheimnissen aus der Jahrhundertwende (sie war wohl 1890 geboren), gekleidet in einen schwarzen Mantel, schwere Pantinen und beim Gehen Seitenschlag, hielten wir sie verständlicherweise ein klein wenig für eine Hexe …
Aber jetzt denke an die blau geschichteten Terrassenhäuser mit den riesigen Betongaragen, die jetzt dort stehen, und ich denke: was von ihr abstrahlte und uns so faszinierte, war nur die gespenstische Maske des laufenden Vergessens … die uralte Frau war wohl in Niemandens Erinnerung mehr lebendig …. !!!
Einmal taten wir etwas Unerhörtes. Wir kamen von unserem Schulweg ab und eroberten das gespenstische Haus aus dem Hinterhalt, schlichen uns durchs Tenn in den Dachstock. Tock-Tock … machte es einmal näher … einmal ferner …aber dann doch immer näher ….! Tock-Tock!
Dieser Moment, in dem wir realisierten, dass wir in der Falle sassen, sie uns ertappen würde …. und ein Streifen kaum sichtbaren Nachmittagslichts durch die Ritzen des Gadens vergeblich nach uns griff: er ging nie vorbei …. Er war vielleicht der Augenblick, in dem wir zum erstenmal unsere Kindheit überlebten.
Atemlos vor Schreck und Spannung versteckten wir uns im Heu.
Und nun werde ich auch schon bald old and grey.
(9.8.19)
Liebe Marion das ist so wunderbar geschrieben! Grosse Kunst. Beat
Thank you, Beat!
Danke