Retro: Amour Box, Herbst/Winter 2020, the Intimates

Und hielt ich mich fest an einem Wort.

 

Amourbox: Liebeskummerkasten (3.10.2020)

Wenn es mich nicht mehr gibt für dich, dann will ich nichts mehr. Aber warum? Dies ist nur Natur und Fatalität. Identität, die sich auflöst wie ein Maschenteppich, nur weil die Liebe gegangen ist, bringt die wahre Identität zum Vorschein?
Doch, ja, ich erkenn mich im Spiegel, ich fühle, ich bin bei mir. Und dennoch will ich mein ganzes Sein, das ich in mir habe, ohne dich nicht mehr. Da wären ich und mein Sein, da wären andere Menschen, aber in dieser tiefen Geschmacksverirrung, in der ich stecke, will ich lieber nichts mehr, als die Hände derjenigen nehmen, die mir sagen, dass ich ihnen etwas bedeute. Ich kann nichts geben, nichts und niemandem, weil alles in mir für dich ist. Es wäre das Naheliegendste, das Herz loszureissen von jemandem, dem man nichts bedeutet und Gefallen daran finden, mit anderen Fühlung aufzunehmen. Aber paradox wie ich bin, sind mir alle Wege versperrt, aus dieser Blockade herauszufinden, solange, diese Liebe für dich in mir auf diese Art lebt.
Ich wünschte, sie lebte anders: dass du mich verlassen hast, und ich für dich nicht mehr existiere, sollte mich Berge versetzen lassen. Ich fürchte, es ist alles ganz anders. Die Liebe, mit der du mich über ein Jahr überschüttet hast; sie ist die Insel gewesen, die mich mit dem Festland verbindet. Ich trieb schon auf offener See, ehe du kamst. Und nun …. Nicht mal, dass dies ein Classic ist, und dass es in diesem Moment Millionen gibt, die im selben Narrenschiff dahin treiben, kann mich soweit restaurieren, mit erhabenem Kopf davon zu schreiten. Es gibt ja nur Magie und Magie ist Fatalität. Ich bin keinen Millimeter weitergekommen, all meine Gedankengänge haben an meinem Materialismus nichts geändert, ich sehe keine Möglichkeit eines Perspektivenwechsels. Ich will nur wieder in dir sein, und sonst will ich nichts mehr. Dass du vielleicht, ja sehr wahscheinlich, Hässlichkeit an mir wahrgenommen hast aus deiner Perspektive, Hässlichkeit, die meinem Selbstbild entglitt, quält mich wie Waterboarding: ich wurde hässlich für dich und mein Licht erlosch dir. Nun will ich nie wieder in den Spiegel schauen. Schwarz bin ich als Frau (weil wir keine Liebende mehr sein können), als Mensch (weil wir es nicht geschafft haben, Freunde zu werden), schwarz ist meine Intuition (weil ich meine Subversivität und das, was dich von mir abstiess nicht mit deinen Augen sehen kann), auf die ich so viel gab, schwarz ist mein Körper, der verfällt (weil er mich dazu zwingt, so nah am Fleisch zu sein) und schwarz ist mein Denken.

Es ist unbegreiflich, verlassen zu werden, und ich spüre die Last der Zeit, die mir geschenkt ist, dies nicht zu begreifen. Sich angezogen fühlen auf diese Weise von einem andern Menschen und von dem riesigen grossen Rest der andern Menschen nicht. Man glaubt, diese Liebe sei etwas zutiefst Individuelles und Irrationales, weil sie die Identität so erschüttert (besonders, wenn sie geht), aber eigentlich ist sie weder individuell noch irrational. Mein jetziger Zustand ist so nicht gewollt von mir, und mein Körper bin auch nicht ich. Also was ist das? Nichts mehr schmeckt mir, nichts mehr kann ich erkennen, nichts reicht und ich erreichte uns nicht- nie wieder will ich in den Spiegel schauen, dieser Spiegel lügt, jeder Spiegel lügt–
Heute dachte ich, ich hätte dich mit einer neuen Liebe gesehen, und ich stürzte auf zu dir, zu euch in die Wohnung, weil ich sehen wollte, ob es irgendetwas für mich zu erkennen gibt … ich stürzte auf …. ich konnte nicht mehr denken ….mein Herz raste … ich wollte wieder etwas wissen …. obschon ich weiss, dass es mit Wissen nicht geht …. du wirst mir nichts mehr zeigen von dir und über Worte werde ich nichts von dir erfahren … ich wollte für dich einen lustigen Witz machen (wie früher), und dich zum lachen bringen, weil dein Lächeln mit den kleinen Knabenzähnchen alles verzaubert, stattdessen würgte ich den dämlichen Satz herunter, den du für Kalauer-mässig hältst: ich liebe dich! Aber ich schaffte es nicht und weiss selbst nicht, welchem Zwang ich gehorche, wenn mein Mund diesen Satz auch jetzt noch in die Luft haucht. Schlimmstenfalls ist es für dich Nötigung, und dieser Gedanke quält mich wie Waterboarding. Dass ich dich zwingen könnte, Sätze meiner Zuneigung für dich über dich ergehen zu lassen,(während du lieber auf dem Handy tippen oder Fernseh schauen möchtest) wie von einem dummen Schulkind.
Wie gesagt, ich wollte dir gerne was Lustiges erzählen, um dir damit eine Freude zu machen, und weil das immerhin ein bisschen attraktiver wäre. Aber Liebende in dieser Lage sind ja doof … ich hab nicht das Gefühl, dass ich jemals wieder in mir stehen werde. Wenn ich doch nur dein Hund wäre.

(3.0.2020)

 

 

 

(14.12.20)

Amour-Box, Malteland

Früher, wenn ich Malte zum letztenmal sah, zum letztenmal das Gehirn und die Adern voller Rotwein und Bier, sagte ich ihm einen Satz, immer, im Bewusstsein, dass es mein letzter Satz ist für ihn.
Vor der Cafebar Mokka, nachts um vier, am Thuner Schloss vor den uralten Gefängnisgittern,  draussen beim See, im Vorbeigehen: ich trat an ihn heran, rollte oder flog, nein, ich wusste nicht, wie. Es war ein Umsinken, in dem Moment, in dem er, fertig und verbraucht von der Nacht, von seinem letzten Bier aufschaute und mir diesen Moment des Zuhörens schenkte.
Mann, er war so voll u so weggetreten! Und doch hab ich bei ihm diesen Raum gespürt, diesen zusätzlichen Raum. Es kam mir vor, als hörte er anders zu, von viel weiter her; und doch musste ich mir sein Ohr stehlen, um ihn, Malte, heimlich ein letztesmal zu kosen durch meinen letzten Satz an ihn hindurch.
Man hätte mich mit Kompott übergiessen können, wenn ich seine Aufmerksamkeit endlich bei mir hatte. Wenn Malte mir zuhörte, dann war es, als wäre da die präziseste Stille, aber gleichzeitig umgarnte seine Aura Musik. Echo verströmte sein lakonisches Schweigen, seine teuflischen, traurigen Augen, man hätte mich abschleppen müssen. Ich sah nichts mehr, fühlte nichts mehr, was ausserhalb seiner Aura geschah, neben uns. War eingesponnen in sein Ohr, in sein Wort, in die Berührung seines verschnitzten Armes; es war mit Malte wie herangezogen werden von einem Magnet unter Zeitlupe.

Das Tempo einer Langsamkeit, in der ich vergehen konnte.

Nie wieder konnte ich so an jemanden hinsprechen. Umsinken in so einen Abgrund hinein. Anderen, die nachher kamen, fühlte ich auf den Grund, schnell und flüchtig, spürte ich, bis wo ihr Bewusstsein reichte und bis wo ihre kurze Berührung.  Ich warf mich vor einige auf den Boden hin. Ich war so jung. Und Malte war fort. Nun wollte ich ihn in mir selber tragen, wollte werden wie er, seine Gesten, seine Schichtungen, seine verzitternde tiefe Wärme, den Zynismus, mit dem er mich verschnitten hatte, mir einverleiben.
Manchmal, wenn jemand an mich herantrat, am Ende einer chaotischen Nacht, vertraulich u weit geworden im Wein, ulkig, in einem Innenhof, mit einem letzten Satz, tat ich so, als könnte ich dem Fremden diesen Raum schenken, seine fremde Vertraulichkeit trinken. Ich schwang nicht zurück, ich fasste ihn auf, wie ein Kuss, nicht mehr loslassend, bis ich ihn beherrschte.
Dann liess ich los und ging weg, fühlte mich leer und weinte um meinen Malte. Den ich nicht sein konnte, mir nicht einverleiben konnte, weil er ein Anderer war, nicht ich, ganz einfach.
Uns (mir und den Späteren) selbst in die Quere  kam ich mit einem unsäglichen Ego, von dem ich wünschte, ich hätte es wenigstens Malte gestohlen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht hingebungsvoll war oder die Liebe für mich ein Spiel geworden, für meinen Körper war sie ein gewaltiges Erlebnis…. aber ich war doch immer auch noch da und drängte in die Mitte, ich wollte keine Gleichheit mehr ab da, (nach Malte), sondern nur meine Berauschtheit ihnen und vor allem mir schenken.

Und Sätze waren oft so endlos…. verpuffend.

Oke, einmal hab ich es vielleicht doch noch erlebt. Und ich ertappte mich mit einem letzten Satz. Und in diesem letzten Satz steck ich noch. Doch im Unterschied zu Malte, dem ich im Wein und Bier, jeden meiner letzten Sätze hin erbrach, und keine Gelegenheit ausliess, besoffen und entgrenzt, in der Nacht, mich an ihn zu binden, auf offenen Plätzen,ein letztes mal mit einem letzten Satz … werde ich diesen letzten Satz diesmal vermutlich für mich behalten. Ich werde die Zeit verstreichen lassen und vielleicht sehen können, was mit einem Satz passiert, die nicht geschenkt und nicht genommen werden kann.

Wie immer dieser letzte Satz auch heisst.

Wenn man aufhört letzte Sätze zu sprechen, verlieren sie mit der Zeit vielleicht in einem selbst drin ihre Bedeutung. Alles wird lose. Und die Rose……. (ich weine!)
…………………………………..verblüht in einen ungestillten Frieden hinein.

Das ist nie und nimmer das, was ich wollte.

Ich wollte mit meinen letzten Sätzen die Momente wieder lebendig machen.

Und jene mit Malte, damals in den Nächten, sollten nie enden.

(28.9.2020)

 

Tags: No tags

Add a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *