Ich versuche über alle sprachlichen Probleme hinwegzuschreiben, da ich es nicht mehr schaffe, stringent zu denken.
Meine rechte Hemisphäre ist in einem schlechten Zustand. Dass es ernst ist, merke ich daran, dass ich beim Stehen kein Gleichgewicht mehr habe. Ich will also einen persönlichen chronischen Lockdown beschreiben, aber bin wieder bedroht vom finalen physischen Knockeddown. Es ist, als würde ich mit einem kleinen Rest meines Gedächtnisses schreiben, denken, gehen, duschen. Eine kleine verbliebene Fläche, die mich vor dem Abgrund, Stroke, Verblödung, Paralyse, Hirntod usw., was alles droht respektive ausser Betrieb ist, provisorischverschont. Es ist, wie Ersaufen, ja, bis zum Hals zuerst, dann bis unter die Nase….
Mein Gehirn war bisher nie in diesem Umfang betroffen. Nun ist es dreifach verschalt und isoliert. Ich wandle in einem Käfig und kann die Dinge, die mich umgeben, nicht erkennen. So sehr ich meine Augen auch anstrenge, die Sehschärfe kommt nicht zurück, der Fokus bleibt weg, da mein Gehirn entzündet ist. Es ist: wie doppelt, dreifach abgetrennt sein, nicht mehr verlinkt sein Körper-Gehirn. Perzeption verlangsamt. Ich denke an Tiere, die sich zusammenziehen, verkriechen an einer Stelle, versteckt, in Agonie oder Schmerz.
Diese Krankheit führt in den Tod. Aber ich allein weiss es. Die, die für kranke Körper zuständig sind, sind blind und ahnungslos. Weil diese Erkrankung einfach nicht in ihrer Ausbildung vor kommt. Was für eine seltsame kafkaeske Situation!!!
Es ist ein seltsamer Tanz auf dem Mond. Erwachen; und das Gleichgewicht ist weg. Erwachen: und du siehst dich im Spiegel nur noch auf zehn Zentimeter. Erwachen: und du weisst nicht, bist du jetzt endlich gaga, verblödet. Hast du in die Hose gemacht. Welche Muskelfunktionen haben über Nacht aufgegeben. Welche Nerven, Gefässe werden attackiert von neuen autoimmunen Prozessen.
Damit du nicht mehr schreien musst nach Hilfe. Zu spüren, dass im Gehirn fatale Prozesse ablaufen, ist nochmals ein ganz anderes Kaliber, als Entzündungen und Fehlverläufe im Körper. Es ist, ähnlich wie beim Herz, ein Pfeil in die Mitte deines „Glaubens“. Von dort aus vollzieht sich die Homöostase. Wie wahnsinnig schön wäre es, ein Mensch zu sein, der aufwacht und nur das Bein gebrochen hat. Zu wissen, dass der Bruch zusammenwächst, dass ein Arzt das Bein flickt, ein sichtbarer Gips, als Zeichen der Hoffnung. Als Indiz. Ein Aufgehobensein, Händedruck, aufmunternd.
Es ist dermassen hoffnungslos.
Obschon dies eine indivduelle Erkrankung ist und die Betroffenen an verschiedenen „Stellen“ kämpfen, kann ich den öffentlichen Optimismus nicht nachvolllziehen. Es hat sich innerhalb von fünf Jahren nichts verändert. Nicht so, dass wir es physisch anwenden könnten.
Ich habe trotzdem versucht, mich heute zu duschen, in meinem Behindertengerechten Bad.
Ich hab mir eine hellblaue Jeans mit Fransensaum und ein schwarzes Langarm-Shirt mit Carmen-Ausschnitt angezogen.
Ich habe zwei goldene Schmetterlinge an den Ohren. Aber sie können mich nicht glücklich machen.
Um es in ihrem 20qm kleinen Verliess auszuhalten, begann Natascha Kampusch die Stammbäume ihrer Verwandten an die Wände zu malen. Auch zählte sie im Kopf alle Gegenstände auf, die sich in ihrem ehemaligen Kinderzimmer befanden. Als der „Täter“, wie sie Prikopil in ihrem Buch „3096 Tage“ nennt, mit ihr eines Tages eine Ausfahrt macht und sie zum erstenmal Menschen in einem Einkaufsladen sieht, glaubt sie, diese Welt sei eine Scheinwelt und Einbildung ihrer selbst.
Natascha Kampusch bittet ihren Täter nach einigen Monaten der Gefangenschaft, sie zu umarmen.
Um weniger Angst zu haben.
Vielleicht hat Kampusch, um den Tod zu überleben, in ihren acht Jahren Gefangenschaft, den Tod umarmt.
(5.5.21)