Erwachen ist so, ist wie wenn ein Hammer sie zurückschlägt ins Grab. Erwachen ist, bis auf wenige Ausnahmen, immer so. Während der Sturm sich draussen legt und die Erwerbstätigen sich für eine kleine Pause vor dem Haus versammeln, um Zehn, und dann zwei Stunden später, das hin und her der Autos, die Glocken läuten und Gestalten im Sekundentakt vorbeihuschen; für sie immer noch Erwachen. Die alten Ägypter sind bekannt für ihre Grabkunst. Sie haben ihren Verstorbenen die schönsten Elemente der Erde mit in den Sarg gelegt. König Ramses II. verewigte den Lebensweg von Nefertari ins Jenseits in einem Grab aus mehreren Kammern. Die Wandmalerien zeigen Neferatis Begegnungen mit Göttern und Göttinnen, denen sie Wein und Milch schenkt. Gravuren und Geheimschriften nach dem Buch der Tore könnten magische Weisungen aus dem Totenreich enthalten, die Neferatis Weg dorthin eben. Was anderes dagegen haftet in unseren Zeiten allein dem Wort Grab an? Es ist ein Aushub, eiligst hergestellt, ein Loch in einer schmalen Betonwand, ein Deckel so schwer, dass er die Schwere und funktionelle Umständlichkeit des ersten Todes zu einem zweiten verdoppelt. Grab; das ist diese traurige, schambehaftete und verachtetete Stelle, worin wir unsere kulturelle Armseligkeit beweisen, indem wir sie gleich mit verschachern. Wie wir begraben, so leben wir. Ohne Phantasie, schnell und beschämt. Es gibt den Begriff Tapehephobie und erbedeutet die Angst, als Scheintoter begraben zu werden. Die Angst kommt nicht von ungefähr. So wurden zum Beispiel bei den Römern verstalische Jungfrauen wegen Unkeuschheit lebendig begraben. Auch im Altertum war das lebendige Begraben als Hinrichtungsart bekannt. Nun gegen Nachmittag, lässt das Hauen auf den Kopf, das Schlüsselbein, die Sehnen und Muskeln allmählich nach. Sie setzt sich langsam auf den Grabrand, wartet geduldig, bis es auch wirklich soweit ist: sie kann aufstehen. Vom Schlafzimmer quer durch die Küche, die Zero Cola aus dem Frigo holen, die Medikamente zum Teilen und zum Vierteln in den Medikamentenzerteiler schieben. Die geviertelten Pillen spicken durch die Luft, die Kraft zum Bücken und Suchen fehlt. Das Erwachen hat nicht alle Glieder erfasst. Taub und wie in einem Eisbett liegen die Nerven, der Hirnstamm pocht, der Schädel brennt. Wird es möglich sein, ein einziges Lied zu singen, an diesem Tag? Trällern einer Melodie, die so gar nichts von Grabesschwere in sich trägt. Stimme, fein und luzid, auch wie eine Himmelsleiter, eine Ankedote aus einem Organ, das tot geglaubt, noch diesen Klangraum in sich fühlt. Eine kleine Zither, vielleicht. Oder an Tagen, da die Schläge Teile des Körpers nur sanft malträtierten: ein etwas längeres Aushauchen. Bevor es, unter dem Durck der Hämmer, wieder runter geht. Lebendig begraben benötigt Erfindungsreichtum: Wie sie doch im Grab die Musik der Lüfte und Eros Pfeil unter den Deckel anlocken kann. Verzehrte, geblähte, halluzinatorische Träume aus der Gefangenschaft. Und immer im Hinterkopf: Mausetotes Ausgestreutsein. Rames II. nannte Nefertari: die Herrin der Liebeswürdigkeit. Ein Grab kann also auch ein Geschenk sein, mit dem der Schenkende dem Toten über das Leben hinaus seine Liebe erweist. Aber wir: Von keinem Reich kommen wir, kein Reich bilden wir, in kein Reich gehen wir.