Porträt des Chauffeurs

Durchfahrt: ein verschwindend leiser Motor, von Felsbrocken flankiert. Dazwischen Ebene, flach, raspelkurzes Gras, Monokultur,
Hütten, die leer stehen und Gehöfte, zum langen, feuchten Schatten der Berge. Wir fahren hier nur durch, gottlob. Aber auf deinen Motor ist Verlass. Bringst du mich denn nicht an jedes Ziel? Ziele sind so deine Sache, reale. Keines hat mich bisher weitergebracht. Zu sagen noch, dass wir jedesmal aufs Neue pünktlich abfahren. Du niemals die Fahrzeit so berechnest, dass an Zeit etwas übrig bleibt. Für einen ausserplanlichen Halt. Die Zeit, sie fährt mit dir mit.  Während ich sie vergessen habe, sobald wir losgefahren sind.

Noch sind wir nicht da,  doch sind wir nicht mehr dort. Ich, neben dir auf dem Sitz betrachte das unwirtliche, halb ländliche, halb urbane Dazwischen. Wir sind still, und es ist friedlich im Wagen. Weit zurück liegen die Ballungszentren, über die du dich entnervt ausgelasssen hast. In weiter Ferne noch das Ziel, dem ich in strammen Schritten den Rücken zukehren werde, vermutlich, straks auf den Wagen hinzu, achselzuckend: „Nichts! Funde keine. Kein Ort zum bleiben.“

Die Zeit knapp, dein Fuss wieder auf dem Pedal, ein vergessenes, unwirtliches Tal, das wir durchpfeilen. Wo es einen hinstreut, rast du, denke ich. Und dann passiert etwas Unvorhergesehenes: wir fahren direkt in die verschlammten Kempen hinein. Kein Schild, das den Steinschlag vorwarnte oder die Angabe einer möglichen Umfahrung hat uns darauf vorbereitet.

„Ich kann dich da heute nicht hinbringen.“ Sagst du zerkniffen. Und wählst die Nummer des Pannendiensts. Der Wagen ist an der Haube leicht eingedrückt, ansonsten sind wir heil davongekommen. Nun stehen wir stehen abseits der Strasse und warten. Allmählich fängt es an, zu dunkeln. Während ich für dich schon nicht mehr existiere, beobachte ich dich lange unbemerkt. Ich glaube nicht, dass du jemals bemerkst, wenn ich dich beobachte. Nie hast du das getan. Du lässt dich über ihr Unvermögen aus, eine Strasse zeitlich abzusperren, ihre Schlampigkeit, Unfähigkeit zur Koordination usw.
Du fluchst nie, bedauerst nie, du entledigst dich immer: gestauter Tiraden.

Aber warum hat er mich denn bloss jemals in diesen Raum gestellt? Hat er das denn nicht vorbedacht, als er mich, zweihundert Kilogramm, auf den Armen trug, hinaus aus dem Saal? Dass da Hürden über Hürden sind, die man übersteigen muss, und doch nicht dort ankommt, wo es einem richtig wohl ist?! Wirklich des Bleibens!? Dass ich vielleicht niemals Fuss fasse und er nach jedem meiner Misstritte sein Fahrzeug neu starten muss? Mich holen, bringen, holen, bringen, bis ins hohe Alter noch?! Dass ich in meiner Vorstellung reise an die vollkommendsten Orte, aber dieser Raum, in den er mich gestellt hat …. Weil, hat er das denn nicht bedacht, als er mich…. ich könnte ihm ähneln in meinem generellen Unbehagen und der unflexiblen Sehnsucht nach Perfektion?!

Nie ist der reale Ort nur annährend so schön, wie in meiner Vorstellung!

Ein Bau am Schattenhang, aussen lackiert, innen verdreckt: stickige Flure versiffte Teppiche. Zubetonierte Gesichter hinter halbverschlossenen Türen Tische mit Malfarben gelegt über leere weisse Blätter. Diesmal. Was habe ich mir dabei wohl wieder gedacht?! Ich finde Schloss Versailles, hier, im Haslital?! Vasallen mit feinen Gesichtszügen, in goldenen Hüfttüchern, die mich hochtragen in einen Saal, in ein King-Size-Bett legen und verträumt hauchen: „Bleiben Sie ein wenig …. keine Theerapieee…. einfach nur ein wenig sein ….“

„Ich kann dich heute nicht hinbringen.“ Sagst du wieder. Diesmal zutiefst niedergeschlagen.

„Aber ich bin doch schon da.“ Murmle ich kaum hörbar. Ein Satz den du nicht verstanden hättest.
Also füge ich schnell hinzu: „Wann kommt der Abschleppdienst?“

Es wird kühl und ich biete dir von meinem Sandwich. Du verneinst, nachdem ich dich das drittemal gefragt habe. Ich klettere zurück in den Wagen und stelle das Radio an. Ein alter Schlager, zu dem wir jeweils geturnt haben, als ich noch Kind war. Wer mehr, wieviele Kniebeugen. Ein Walzer in der Nacht, zwischen steilen, entschwindenden Felsen, im Tal der Abwesenheit. Im Zwischenraum. Wie reizend!

Da fällt mir ein: Einmal, wenn die Situation geregelt, alle Situationen geregelt sind, wenn es keine Störfaktore gibt für dich; und wir bei dir daheim sind, werde ich dich verlegen bitten, mit mir zu tanzen. Unseren Kniebeugenwalzer.

Nein, diese Idee ist kirre.

 




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