Portrait_Toni

Toni, das ist die Erinnerung an einen Mann, den ich nicht kannte. Und trotzdem sind wir uns sieben Jahre lang am Hopfenweg begegnet.
Ich sah ihn von meinem Fenster aus unten im Hof des Nebenhauses, ich sah ihn im Garten verträumt auf einem Stuhl sitzen oder ein Feuer machen, ich sah ihn mit seinen drei schönen, halb erwachsenen Mädchen, mit seiner knabenhaften hübschen Frau. Die Frau war ebenso elefengleich und blond wie zwei der Girls, das dritte Mädchen war dunkel und glich weder Mutter noch Vater.
Was ist daran aussergewöhnlich, eine Familie ums Jahr Zweitausend zu beschreiben?
Sie waren eben Hippies! Oder das, was damals davon übrig geblieben war! Sie waren eine bezaubernde Bande!

Wenn Toni in seinem langsam wippenden Gang, mit kinnlangem Haar und breitsaumigen Hosen daherkam, blieb er vor mir stehen und machte immer so etwas wie einen kleinen Knicks. Ich fand das grossartig und lustig, blieb dann auch knapp stehen und machte auch einen ganz, ganz kleinen Knicks.
Oft hatte ich das Gesicht mit unzähligen groben Pickeln übersät und litt unsäglich, wenn jemand mich anschaute. Aber wenn Toni daher kam und von weit mich erblickte, dann freute ich mich so, dass ich einen tänzerischen, schönen Gang annahm, meinen Rücken anspannte und tragisch schmollend vor mich hinblickte, während meine Stöckelschuhe nur so klatschten!

Ob auch Toni immer entweder lachen oder traurig werden wollte bei meinem Anblick, so, wie ich beim Anblick von Toni?

Hätte der bereits leicht ergraute Koni nicht seinen vier Frauen gehört; vielleicht hätte ich mich Tonis dann angenommen, ein wenig anders.

Sicher hätte er mich, so friedliebend wie er schien, nicht verstanden, so aufmüpfig und streitbar wie ich war. Und immer in diese grässlichen, bauchfreien Miss Sixtys Hosen gekleidet, als wollte ich aus mir einen Storch machen, der mit dem fettigen Gefieder zwischen Wolkentürmen hindurch stakst.

Einmal dann, als ich mit dem Nachbar von Toni, dem dicken Architekten Louis Quatorze, im angrenzenden Garten stand, war plötzlich Koni da, ganz nah, wie eine leise, männliche Fee aus lauter flauschigen Federn. Er lächelte und zeigte auf einen zitronengelben Falter, der gerade im hellen Sonnenlicht vorbei flog. Dann verschwand er wieder, ehe ich etwas sagen konnte.

Louis Quatorze rief ihm laut und sonor nach: „Hey, Toni, kommst du etwas für die Playstation rüber?“ Er war bereits in seiner manischen Phase, in der er alle Menschen anrempelte und mir vor den Augen seiner Frau, der renommierten Architektin, den Hof machte.

Der ganze Hopfenweg, die ganze Tonibande, bekam es mit, wie Louis Quatorze viele Wochen lang jeden Tag unten an meinem Fenster stand, wie er seine Katze zu mir rüber schickte, um mich zu locken, mein Milchkasten überquoll mit Illustrierten, Zeichnungen, Listen, Esswaren usw.

Es war grässlich, Louis Quatorze war ein Arschloch, aber er war sacktalentiert und gebildet, er war voller Witz und Eloquenz. Was war dagegen der liebe Koni, der in seinem ungeheizten Estrich am Wochenende mit der Geige musizierte, der Schülern beibrachte, ein Schiffchen aus Papier zu basteln?

Einmal, als mich die Girls schon ignorierten und böse wegschauten, wenn wir uns kreuzten, ging ich mit einem Gurkenglas rüber und klingelte bei den Konis. Seine kleine Frau öffnete die Türe, versuchte mein Gurkenglas zu öffnen, und sagte freundlich: „Wenn wir es nicht aufkriegen, dann hole ich Toni.“

Sie hatte sehr kleine Hände, doch die Kraft darin reichte aus, mein Gurkenglas zu öffnen.

Ich hätte in dem Moment in mein Gurkenglas speien können.

Zum guten Glück meldete der Haueigentümer meines Hauses dann Eigenbedarf an, und ich musste wegziehen.

Ich hatte vor Louis Quatorze keinen Knicks gemacht. Und Louis Quatorze hatte vor mir keinen Knicks gemacht. Und doch hatte er es knickslos geschafft, letztenendlich, mich in die Pfanne zu hauen, ja, viel mehr als das: irgendwoher suggerierte mir ein Gefühl, das mit Louis Quatorze habe verdammt viel Qualität.

Ich erblödete mich sogar, ihn zu lieben.

——

Aber Toni und seine Familie, das war für mich wie ein unerreichbares Terrain aus zarten Schmetterlingen, tanzenden Sternen, aus in Blumen badenden Nixen, das war für mich die perfekte Gemeinschaft.

Wenn Koni und seine Girls im Garten waren, stand ich lange, lange an meinem Fenster und fand mein Leben was es ist und war:

einen komisch verlaufenden, schmerzlichen Irrtum.

 

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