Portrait_Dirk

Konfirmation bedeutet, dass der kirchliche Unterricht beendet ist, und der Schüler eine sogenannte Religionsmündigkeit besitzt.
Nahezu alle Erinnerung an die Zeit im Konflager habe ich vergessen, nicht aber die stundenlange Schneewanderung über eine Flue. Zuerst ging ich hinter Dirk, dann ging ich vor Dirk. Der Schnee war kniehoch und hart, man sackte mit jedem Schritt in ihm ab und rutschte mit der Sohle auf dem glitschigen, freigelegten Gras.

Dirk trug schon seit mehreren Monaten einen schwarzen Talar-ähnlichen Umhang, zwei riesige Kreuze hingen ihm über die Brust. Unter dem Beatles-Bob, der seine dunklen Augen komplett bedeckte, war ihm ein hämisches Grinsen ins Gesicht geschnitten. Jetzt aber grinste Dirk nicht, sondern erging sich in Stapfen, mühselig und stoisch, wie das von einem Christen verlangt wird, wenn man ihn prüft und seine Geduld auf die Probe stellt.

War also diese endlose Schneewanderung eine Prüfung für all das Kommende?
Ich kann es im Bezug auf Dirk nicht sagen, da sich unsere Wege nach der Konfirmation schnell verloren.

Dirk trug jedoch nur Espadrillen oder Stoffschlarpen an den Füssen, ähnlich wie Jesus brauchte er vermutlich kein schweres Profil,
um durchs Leben zu kommen.

Dieser Schuh blieb nun bei jedem Schritt im Schnee stecken. Dirk zog seinen nackten rechten Fuss aus dem Matsch hervor, rutschte mit dem linken zurück und gab sich ein kleines bisschen überrascht.
Da ich übermüdet war, konnte ich nicht aufhören, den ganzen Aufstieg lauthals zu lachen, und weil Dirk so tat, als würde er es gar nicht wahrnehmen, lachte ich noch mehr. Ja, man kann durchaus sagen, dass ich Dirk auslachte.

Der Pfarrer, der weit vorne marschierte, merkte nicht, dass wir weit zurückfielen, ich die Frevlerin und Dirk, der Antichrist.

Im Unterricht hatte der Pfarrer immer ein kleines weisses Schaumpünktchen auf den Lippen, wenn er sich ergeisterte.
Am liebsten mochte er die Schäfchen, die ihm artig zuhörten und seine Predigten inklusive seine eigenen moralischen Zugaben für fehlerlos hinnahmen.

Ich löcherte ihn mit vielen Fragen, die ontologisch nicht zu beantworten waren, während Dirk hinter seinem Beatles-Fringe tat, als würde er seelenruhig schlafen.

Ich dachte, dass ich von kontroversen Menschen mehr lernen kann, als von fehlerlosen.

Aber einen Gott, der für mich weder gestorben noch gewesen war, den wollte auch ich makellos!

Zum braven Schulschluss-Theater holte mich Dirk für ein Lied. Oder andersrum, Dirk drehte die Boxen auf, versorgte sein Bier beim Verstärker und schrummelte in aller Lautstärke einen Sound. Während sein Fuss (die Jesusschlarpe) den Takt schlug, ordnete er mich streng an, nicht etwa süss zu trällern, sondern zu laut krächzen:

 

Reality is here
You sit in a bar.
The tripp is over.
World ist wonderful.

STEIGERUNG“““““““

The tripp is over.
You can’t be happy.
You must hide.
You are so worry.

„““““““

GITARRENRIFF.

REPEAT.

Kaum einer applaudierte. Für mich war das Einüben des musikalischen Überraschungseffekts im Musikkeller nach dem Schulunterricht eine der angenehmsten Erinnerungen der Schulzeit.

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