meine erste Freundin war Christa, sie hatte nie Zeit. Bereits im Kindergarten machte Christa für ihre zwei älteren Brüder und die Eltern das Abendessen, Salat und Ravioli. Die Eltern von Christa waren viel beschäftigte Juristen, sie waren viel cooler als alle andern Eltern, die ich kannte, aber sie waren nie da. Manchmal kam Christa zu uns zum Essen, und da staunten wir, dass Christa eine Stunde nachdem meine Mutter abgeräumt hatte, immer noch am Essen sass. Mit Neun stand Christa an ihrem schulfreien Nachmittag unten im Keller und bügelte die Wäsche ihrer Familie, die in riesigen Haufen herum lag. Wie ihre älteren Brüder war auch Christa zu gescheit für unsere Grundschulen, so kam sie mit Dreizehn aufs Untergymnasium. Ihre Noten in Mathe waren sehr schlecht, obschon sie stundenlang büffelte, sie musste eine Klasse wiederholen. Und später wechselte sie ins Lehrerseminar. Christa wollte immer Lehrerin werden, sie hatte diese Art, alle zu belehren, eben, weil sie alles schon konnte und verstand, worin wir anderen Kinder ahnungslos waren, auch Regatta-fahren, als Zehnjährige nachts kleine Babies hüten, Snwoboarden, was damals noch ein Geheimtipp war, und vom Austauschjahr in Amerika erzählen, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Ob Christa jemals eine Kindheit hatte, weiss ich nicht, aber wenn sie protzte mit all ihren Verpflichtungen und Verantwortungen, war ihre Stimme tief, wie diejenige einer älteren Frau. Und ihr Gesicht hatte mit Zehn dieses alterslose Aussehen, dem jegliche Kindlichkeit fehlte. Christa nannte mich verächtlich ein Finöggeli und Bébé wegen meines zarten Aussehens. Und weil ich nichts konnte ohne Christa.
Als wir noch klein waren, Sechs oder Sieben etwa, spielten wir im dunkel versteinerten Saunaraum von Christas Eltern „den kleinen Wassermann“. Christa wusste wie man die Sauna bediente und in das nebenliegende Steinbecken Wasser einliess. Meistens war ich die Wassermanns-Frau, die bis unter die Haarspitzen im Wassermannshaus hockte und Fische kochte. Christa, der kleine Wassermann, stieg oft an Land, setzte sich ans Ufer (die Beckenmauer) und angelte.
Einmal schaffte es Christa nicht, den schweren Wasserhahn anzudrehen und den Schlauch ins Becken zu leiten, in dem wir wieder „den kleinen Wassermann“ spielen wollte. So sehr sie auch am Verschluss drehte und rüttelte, es ging nicht.
Da stiegen wir in das kalte, etwa eineinhalb Meter grosse Becken, und machten Schwimmzüge auf den eiskalten Steinplatten. Wir riefen uns in Erinnerung, dass wir ja Schwimmhäute hatten zwischen den Fingern und Schuppen am Körper. Aber wir spielten nicht lange. Zu gross war unsere Enttäuschung, dass etwas unseren Plan – Christas Können – durchkreuzt hatte.
(29.7.22)