meine Lieblingsbücher_die Ballade vom traurigen Café_Carson McCullers (1917-1967)

Ich wäre immer gerne einmal Gast gewesen, dort, auf der Veranda des kleinen Cafés, an einem schwülen Sommerabend, in dem kleinen Städtchen Georgias, durch das nur eine einzige Strasse führt und Autos sich höchstens verfahren. Gast von Amelia Evans, Einen Meter Fünfundachtzig gross, im blauen Overall, die Ärmel über den muskulösen Gliedern zurück gekrempelt, Branntwein zaubernd, im Hof ihres leicht nach rechts sich neigenden Hauses, dessen Fenster sie dann zunagelte, nachdem ihr Geliebter, der zwergige Vetter Lymon mit ihrem Ex-Mann Marvin, dem rot lippigen Zuchthäusler, das Café demolierte und das Weite suchte ….

Niemand wäre 1955 wahrscheinlich auf die Idee gekommen, „die Ballade des traurigen Cafés“ feministisch oder „genderstisch“ zu bezeichnen, und das ist vielleicht auch richtig so, denn keine Geschichten von Mc Cullers lassen sich festmachen, ihre Figuren entziehen sich aller Schubladisierung. So lassen sich weder Vetter Lymon noch Amelia Evans in ihre Seele blicken, ich denke, Carson Mc Cullers, die mit Dreissig schon drei Schlaganfälle hatte, die physisch miserabel war, sich in Annemarie Schwarzenbach verliebte und mit Fünfzig verstarb, liess in die ihrige nicht so einfach blicken wie in einen simplen Spiegel.

Trotzdem ist der Plot des „traurigen Cafés“ im Grunde brutal: Amelia Evans, eine Einzelgängerin mit der Statur und den Gebaren eines Mannes, die einen kleinen Laden in ihrem Haus hat und wegen Kleinigkeiten gerne vor Gericht zieht, verliebt sich in den kleinen, buckligen Vetter Lymon, der eines Tages in die Stadt kommt und sich, zum Erstaunen der Bewohner, bei Amelia einnistet. Amelia hat nur eine zehn tägige Ehe mit dem Schwerenöter Marvin Macie gehabt, ansonsten immer allein gelebt. Unergründig und unerklärlich ist ihre Zuneigung, die sie für Vetter Lymon empfindet, der ihr auf Schritt und Tritt folgt, sich von ihr päppeln und mästen und dabei niemals in seine Seele blicken lässt. Allerdings gibt Vetter Lymon auch den Ausschlag für die Verwandlung des Ladens in ein Café. Dort ist er eine Art Aufseher und teilzeitiger Schwätzer, der mit Adlersaugen alles beaufsichtigt, während Amelia Schnaps aus Zuckerrohr, Mais und Hähnchen und auftischt. Das kleine Café zieht die Bewohner des Städtchens magisch an. Die meisten von ihnen arbeiten in der Mühle für ein paar Dollar, die sie dann bei Amelia vertrinken oder für eine Kur gegen jegliche Gebräschten liegen lassen. Denn Amelia zaubert in ihrem Hinterhof auch Medizin … für alles  und jeden … nur nicht für Frauenleiden….

Gender oder nicht, sagte ich. Nicht nur, weil Carson mit Amelia ihre Art Traumfrau erschaffen hat — autonom, physisch stark, psychisch unberechenbar und gutmütig, kurz: eine Frau nach dem Vorbild eines abgründigen, rätselhaften, immer ziemlich verschlossenen Mannes, der sich nicht so sehr um seine emotionale Tempi kümmert, als viel mehr um die Früchte seiner Taten—-

sondern, weil dann im Laufe der Geschichte auch noch etwas Unvorstellbares passiert, das bei näherem Hinschauen gar nicht mal so komisch ist:

Das Café ist schon ein paar Jahre der Hauptanziehungspunkt des Städtchens, da geht die Kunde, Amelias Ex-Mann, Marvin Macie, sei aus dem Zuchthaus entlassen worden. Schon läuft er die lange, einzige Strasse entlang, rot lippig, verwegen, die Gitarre um die Schulter, unter dem siedend heissen Himmel. Es kommt zwischen Macie und Vetter Lymon zu einem ersten viel mehr konspirativen, als feindlichen Blickwechsel. Amelia Evans bebt vor Wut, aber, sonderbar, sie kann Marvin nicht abschütteln, sie nimmt ihn auf als ihren Gast und verliert Vetter Lymons hündchenhafte Zuneigung an ihren Ex, den Taugenichts mit diabolischer Ausstrahlung.

„Now, the beloved can also be of any description. The most outlandish people can be a Stimulus for Love.“ (So Mc Cullers in der Mitte des Buches.)

Als es zu einem physischen Zweikampf zwischen Amelia und Marvin kommt — Amelia hat dafür lange mit einem Boxsack geübt — wirft sich Vetter Lymon von hinten auf Amelias Rücken und verhilft damit Marvin Macie zum entscheidenden Sieg. Zusammen mit Macie plündert er anschliessend Amelias Haus und zieht mit Macie ab.

Ab diesem Zeitpunkt ist Miss Amelia nur noch ein Schatten ihrer Selbst, das Café Geschichte.

Dieser Schatten ist es, der die „Ballade vom traurigen Café“, die geradesogut eine herzliche, wärmende sein könnte, in eine definitiv traurige Ballade verwandelt:

Mc Cullers episch und symbolschwanger:

„The building looks completely deserted. Nevertheless, on the second floor there is one window which is not boarded; sometimes in the late afternoon when the heat is at its worst a hand will slowly open the shutter and a face will look down on the town. It is a face like the terrible dim faces in dreams – sexless and white, with two grey crossed eyes which are turned inward so sharply that they seem to be exchanging with each other one long and secret gaze of grief. The face lingers at the window for an hour and then shutters are closed once more….

…. however, here in this very town there was once a café.“

Welches verschwundene Café hätte keine Geschichte zu erzählen?

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