Die wenigsten Menschen überleben ihre eigene Geschichte. Wenn sie dies wüssten, würden sie ihre Geschichte dann anders erzählen? Meistens ist es die Geschichte, die ein klein wenig über die Lebensdauer ihres Menschen hinausragt. Das bezieht sich aber nur auf die kleine Geschichte, die Geschichte, die einem Einzelnen gehört. In der grossen Geschichte hat diese kleine Geschichte einen geringen, bis überhaupt keinen Stellenwert, da kleine explosive Geschosse ausreichen, um einen Ort bis und mit seinem letzten Zeugen auszulöschen. Ein Wort, das zu spät kommt und schnell mit Gestrüpp bewachsen ist, steht dann für die Verschwundenen, ein Wort, ich weiss nicht, ob es überhaupt ein Beispiel gibt unter Tausenden, wie: Sindjar.
Nirgendwo lässt es sich so radikal verschwunden sein wie im Meer. Aber das Meer ist auch ein Ort, der sich einem Zeugen mit grosser Klarheit ins Gedächtnis einbrennt. In ihrer Kurzgeschichte Ocean1212-W schreibt Sylvia Plath: ‚Die Landschaft meiner Kindheit war nicht Land, sondern das Ende vom Land – die kalten, salzigen, rollenden Hügel des Atlantik. Manchmal denke ich, dass mein Bild vom Meer das Klarste ist, was ich besitze. Ich trage es in mir, verbrannt, wie ich bin, wie die purpurnen weissumrandeten Glückssteine oder die blauschaligen Muscheln, deren Inneres Regenbogenfarben schimmert wie die Fingernägel von Engeln …’
Sie, Sylvia, hat sich mit diesem Meer angelegt, schon als kleines Mädchen wollte sie die Wogen gleichzeitig erleben und mit ihren eigenen Kräften bezwingen. Ohne Schwimmweste, aber mit einem Schiff, das den Namen Conqueror trug, einen Namen also, der jedes weibliche Schiff in den Abgrund fährt. Das war damals so, wie es heute so ist.
Ein weiblicher Traum sollte niemals die Umrisse eines Kolosses annehmen. Immer sollten im weiblichen Schiff die Konturen des Schiffchens erhalten bleiben.
Hat nicht Dolly ihr Schiff versenkt, ihre schönsten Konturen zerstört mit ihrem Lautwerden?