„… Man könnte dann annehmen, dass das Gefängnis und überhaupt die Strafmittel nicht dazu bestimmt sind, Straftaten zu unterdrücken, sondern sie zu differenzieren, sie zu ordnen, sie nutzbar zu machen; dass sie weniger diejenigen gefügig machen sollen, die Gesetze überschreiten, sondern dass sie die Gesetze in einer allgemeinen Taktik der Unterwerfungen zweckmässig organisieren sollen. Die Strafjustiz wäre dann so etwas wie die „Verwaltung“ der Gesetzeswidrigkeiten: sie zieht die Toleranzgrenzen, gibt den Verstössen freien Raum, unterdrückt die andern, schliesst einen Teil davon aus, macht einen andern nutzbar, neutralisiert die einen, zieht aus den andern Gewinn. Die Strafjustiz würde also die Gesetzeswidrigkeiten nicht einfach unterdrücken, sondern sie differenzieren und ihre allgemeine Ökonomie sicherstellen. Und wenn man von einer Klassenjustiz sprechen kann, dann nicht deswegen, weil das Gesetz oder die Justiz den Interessen einer Klasse dient, sondern weil die von der Justiz durchgesetzte Klassifizierung von Gesetzeswidrigkeiten Herrschaftsmechanismen unterstützt. Die gesetzlichen Strafen sind Bestandteil der globalen Strategie der Gesetzeswidrigkeiten.“
(Michel Foucault, Überwachen und Strafen, 1977, über die Entwicklung der Bestrafungsstrukturen im 19. Jahrhundert zur „Disziplinargesellschaft“ … leider hat M.F. die „Individualgesellschaft“ nicht mehr erlebt, wäre spannend gewesen, wie er die Bestrafungsstrukturen hiervon ableitet und rückführt.)