Solange ich es mit dem Schreiben nicht ernst meinte, fand ich Schreiben eine tolle Sache. Je ernster ich das Schreiben betrieb und also je besser ich werden wollte darin (für mich und nach meinen Massstäben), desto unangenehmer ist es mir geworden, diesen „Weg“ des Selbstausdrucks befolgt zu haben. Jetzt unabhängig davon, was die Alternative gewesen wäre und unter welchen Umständen Alternativen möglich gewesen wären: ich wünsche mir nur noch eins: ich möchte ein neues Leben haben, ein Leben, in dem es die Sackgasse: Selbstverwirklichung nicht mehr gibt. Ein Leben, in dem ich frisch und neu bin und irgendetwas da draussen tue, egal was. Einfach nur, um dasselbe zu tun, wie alle andern, und um am Abend fertig zu sein, im Wissen: die Arbeit so gut als möglich getan zu haben.
„Kunscht isch umsunscht“. Ja, aber ich möchte all das, was ich darin Geniales sah, als junge Frau, nämlich: etwas tun, das, wenn möglich, nicht bewertbar ist und nicht einfach mit Geld zu ent/bewerten, das möchte ich nicht mehr! Ich möchte jetzt das Gegenteil! Und nur noch etwas tun und leisten, das eins-zu-eins bewertbar ist und einem Geldbetrag entspricht. Auch ein Leben als Selbstversorger zusammen mit anderen irgendwo im Tessin stelle ich mir sinnvoll vor. Mir ist alles verhasst, was mir als Vision vorschwebte, und das ist hauptsächlich dieser „Trieb/diese Obsession“ gewesen, ein Buch schreiben zu wollen und also etwas im Alleingang auf die Beine stellen zu wollen, ohne Rücksicht auf die Umwelt, und als könnte ich ohne (Selbstverwirklichung) nicht mein Leben beginnen.
Jetzt, wo mein Leben offenbar gegen Ende zugeht, kommt mir das alles blöd vor, und ich bin wie ein alter reuiger Sünder, der ein Leben lang zb. Menschen für Geld übers Ohr gehauen hat oder andere „Sündentaten“ begangen im Genuss, aber all das bereut er eben jetzt.
Es gab immer mal wieder Zeiten, in denen ich die Absicht hatte, mit dem Schreiben aufzuhören, um stattdessen die wenige zur Verfügung stehende Kraft anders zu nutzen. Aber wenn ich mich dann umschaute und ein neues Projekt umsetzen wollte, scheiterte es zumeist bereits wieder: eben an den physischen Ressourcen sowie einem inneren Widerstand, dass es eben doch nie genau das war, was mir entsprach. Immer wieder kam ein Projekt mit Menschen nicht zustande, weil mir die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet hätte, nicht sympathisch genug waren oder ich gleich das Gefühl hatte: mit denen kann ich nicht! Dabei war mein Wunsch, etwas gemeinsam mit Menschen zu tun, immer da! Ich wollte! Aber dann konnte ich nicht!
Seit einigen Jahren weiss ich nichts mehr über die Menschen da draussen. Ich habe nur noch mit denen (über online) Kontakt, deren Leben sich im Bett abspielt. Ich habe keine Ahnung, was die Menschen, die Gesunden, da draussen für Triebfedern haben, wie sie ticken, wie sie ihre Umwelt erleben. Ob sich Umwelt (also die Welt generell) für sie auch geändert hat, zb. seit dem Jahr 2000, zb., oder ob das Leben für sie immer noch so ist wie damals: als wir ein bisschen in den Kaffeehäusern sassen, noch real einkaufen gingen (nicht online), irgendwo in der Schweizer Bergen zu erschwinglichen Preisen Ferien machten, der Mist, der auf der Welt passiert und diese wahnsinnige Aggressivität, die sich da aufgebaut hat seither noch nicht bei uns angekommen war usw.
Seit einiger Zeit fühle ich mich ausserstande, die Tagesaktualitäten zu lesen oder im Fernsehen zu verfolgen (erst recht!) und ich wünsche mir oft irgendwo in ein Haus zu fliehen, mitten in einem tiefen Wald, weit weg, und dann schneit es und schneit und schneit und schneit, bis alles zugeschneit ist. Ich möchte das es mich und meinen Lebensirrtum zuschneit. Aber ich möchte auch, dass es die Welt zuschneit, mit der ich nichts zu tun habe respektive umgekehrt: diese Welt, die nichts mit mir zu tun haben will!
Ich denke, es passt zu mir, dass mir jetzt, wo es wichtig wäre, zu dem zu Stehen, was ich mache (Schreiben), mir dies genau in diesem Moment nichts mehr bedeutet und ich es lauthals verfluche. Aber ich glaube wirklich nicht, dass ich heute noch dem Irrtum verfallen würde „Kunst“ machen zu wollen/müssen, weil ich finde, dass es keinen Platz mehr dafür gibt, räumlich, auf dem Markt, aber auch in den Menschen selbst. Das, was ich mit „Kunst“ machen meinte, ist unter anderem „Lebenskunst“, aber ich sehe nicht, wie sich „Lebenskunst“ heute umsetzen liesse, die äusseren Umstände, die Umstände, in die wir geraten sind, lassen ja kein Flanieren mehr zu, und unsere Gehirne gleichen Rechnern, das Gefühl verflacht sich, weil es keine Langsamkeit mehr kennt. Es fehlt an Raum und Platz, jemandem Aufmerksamkeit zu schenken. Die Überfrachtung und das Zuviel lässt die Konzentration dahinschmelzen …. ich denke, die Menschen haben sich verändert.
Aber das beurteile ich alles nur aus meiner Glasglocke aus, im Prinzip kann ich es nicht beurteilen, denn ich habe ja keine inwendige Sicht: gibt es da draussen noch das Auge für das Nicht-Sichtbare, gibt es noch Ecken und Nischen, die man sich nicht zunutze machen kann? Sogar unsere Karotten sind entweder konform oder uniqu, damit wir nicht selbst erfahren müssen, was das „Andere“ ist. Sicher, für Menschen mit einem gewissen Wohlstand gibt es immer noch die Möglichkeit die „uniquen“ Plätze auf dieser Erde zu bereisen und sich ihren Raum an ein paar Quadratmetern an Umschwung zu erkaufen. Diese Menschen halten sich vermutlich nicht nur für einzigartig, sie werden in ihrer Einzigartigkeit bestätigt, dadurch, dass man ihnen Raum zugesteht.
Ich persönlich habe schon lange nicht mehr das Gefühl, dass ich irgendwo einen Platz habe, ich denke, es geht mir wie vielen ausgestorbenen Insekten, die reichlich Stress hatten, als ihre Lebensgrundlagen prekär wurden. Sie zappelten ein wenig, ehe sie verschwanden. Ich bräuchte wegen meiner starken Reizempfindlichkeit (neurosensorische Probleme durch ME) eine Lärm- und Menschenfreie Zone. Hier wo ich wohne, im Erdgeschoss, höre ich jeden Tag dutzenfach die Türe ins Schloss fallen. Menschen laufen den ganzen Tag im Haus einaus, gleich hinter meinem Kopf. Ich bin sehr krank und brauche den Rückzug, mitunter ein Grund, warum ich mittlerweile wohl komplett in der Nacht lebe. Ich habe nicht genügend Raum. (kann aber unter den jetztigen physischen und psychischen Umständen auch meine Wohnungssuche nicht weiterfolgen). Und kranke Körperteile sind verletzte und verletzbare Körperteile!!!!!
Ich habe überhaupt keine Vision mehr. Aber ich denke, dass die heutigen Jungen Visionen haben, realistische. Und vor allem pflegen sie Freundschaften. Das ist sowieso das Wichtigste im Leben.
Ich will mit dem Schreiben nur noch fertig werden.
(15.10.2020)
Nur zwei Fragen:
Weshalb sprichst Du vom „reuigen Sünder“? Ist es eine Anspielung an „Das Paradies und die Peri“, der bestrafte Engel, der/die erst durch die „Tränen des reuigen Sünders“ erlöst und wieder und im Paradies wieder aufgenommen wird?
Bezüglich der „Visionen“ der Jungen bin ich mir nicht so sicher, denke an Peter Fonda, der 1969 als 29jähriger „Wyatt“ in „Easy Rider“ nach der Drogenszene und kurz vor seinem Tod sagt:“ We blue it.“
(…Easy Rider celebrates the counterculture only to condemn it at the end. When Peter Fonda’s character, Wyatt, says, “We blew it.” Those words echoed across that entire generation of young people in the late 1960’s, who brought this country to the verge of real change, but they were young. They weren’t fully coordinated. They were losing a lot of their leaders to drug overdoses, or they were killed in protests, or they got older, and as we get older we become more conservative. So time was not on their side. But this movie was critical of the subject matter it was portraying…) – Ist es heute besser?
wird man mit dem Alter konservativer?
Das ist doch nur ein Notreflex, weil man physisch schrumpft.
weiss nicht, denke es liegt nicht an der Zeit, sondern an der Jugend.
Das von dir zitierte Paradies kenne ich nicht wirklich. Aber es sollte ein Plätzchen sein so nah an Gottes Leib wie möglich.