Diary 3004_Sonntag, im 3E

Als wir dann durch die leeren Strassen torkelten, der alte Japaner und Kunstexperte mit seinem seltsamen Wagen, der junge Mann mit dem Dosenbier und seiner Obsession: Blumenmädchen, vor geschlossenen Türen und erloschenen Fenstern um gerade mal Mitternacht, nirgendwo Musik oder Tanz, und als ich dann weiterfuhr, in meinem seltsamen Scooter, den dunklen Heimweg zu, da fand ich dann, dass dies vielleicht obsolet ist oder gar infam, pensioniert (der alte Mann) und invalid (ich) und am Rand (der Junge), einen Ort aufsuchen zu wollen für einen letzten Tanz oder ein letztes Bier (sie beide). Dass die Zeit zwischen meiner Abwesenheit und meinem heutigen Erscheinen, eine komplett andere ist, als damals, vor zwanzig Jahren. Es kam mir vor, als müsste ich begreifen, dass der Mensch in der Zwischenzeit aufgehört hat, sich zu berauschen, zu vergnügen, richtig zu geniessen (was immer auch ein Risiko birgt), weil er endlich doch unbewusst von einem schlechten Gewissen erfüllt ist, heimlich versteht sich, denn ganz ehrlich, wie könnte man weiter so leben und tun, als wäre nichts? Ich meine, dies hat nichts mit dem üblichen konsumieren zu tun, im Gegenteil, wüsste man noch, was Genuss ist mitten im Juli, der Ferienzeit, würde doch nicht jedes Lokal um Zwölf Uhr dicht machen und kein einziger Keller noch jene beherbergen, die den Genuss nach dem Konsum wagen…. Es ist eine tanzlose Stadt, offenbar gibt es keine Menschen, die ihre Ferien hier verbringen und auf die Idee kommen, irgendwann und irgendwo, zu irgendeiner Uhrzeit tanzen zu gehen, bei sich selbst, daheim. Bis auf ein paar Schwarze und ein paar Nutten treffen wir niemanden mehr an, nachts um halb Eins. Und wie ich mich von den andern beiden armen Sündern verabschiede, denke ich es wieder: wie seltsam! Es kommt mir vor, als wäre dieses Leben, das jetzt gelebt wird und zu dem sie sich verpflichten, eine selbstauferlegte Strafe dafür, dass wir nicht mehr in Einklang mit der Natur leben können, dass wir so tief entfremdet sind von einem gesunden, harmonischen Dasein. Im Laufe der Entfremdung, die sich über viele Jahrzehnte erstreckte, sind wir uns fast ganz abhanden gekommen, ja, es kommt mir vor, als könnte man nicht länger Mensch sein, sondern müsste, um das schlechte Gewissen zu verstecken, eine Art Zwitter zwischen Mensch und Maschine abgeben oder besser: eine Lebewesen nach Mass, dass weder jauchzt noch heult, noch träumt noch flucht. So viel und so lange haben wir nur an uns gedacht, und nun, da es mehr und mehr klar wird, dass wir den Planeten krank gemacht haben, wo wir wissen oder ahnen, dass wir dran sein werden, jetzt wollen wir gerade noch mal einen drauf setzen und den Menschen am liebsten gleich ganz abschaffen ….

So und nicht anders kam es mir vor. Als ich heim tuckerte. Als wäre ich kurz nocheinmal zurückgekeht in die alte Welt des Lasters, in die Kneipe, wo die letzten schrägen Individuen abhängen, wo es keine Discokugeln mehr gibt, nur eben uns, die letzten. Natürlich glaube ich längst an die Strafe. Meine persönliche Strafe. Und die seltsame Strafe, die sie sich auferlegen, indem sie die Orte der Begegnungen schliessen und stattdessen ein Disney Land mehr basteln. Ja, natürlich, wie schwer ist es, sich gehen zu lassen, während man gleichzeitig die immer schwerer wiegende Last trägt, dass man Teil eines Systems ist, aktiver Teil, der gegen das Leben arbeitet….gegen die Möglichkeit eines organischen Ausgleichs, gegen die Organismen, die Verbindung, das Ganze …..

Gut möglich, dass es überhaupt kein öffentliches Leben mehr geben wird, zum Beispiel dann, wenn das Auge der Zensur auch diesen Bereich für sich beansprucht….

Und doch …..wozu soll das gut sein, sich so zu beschneiden, wenn es gleichzeitig immer noch heisst: Wirtschaft: mehr? Fortschritt, mehr? Wohin?

Ich kann dieses „mehr“ nicht mehr verstehen, ich kann nicht mehr verstehen, was sie damit verteidigen, wofür es steht- ausser für den fehlenden Gott – ich kann es nicht mehr verstehen, wenn es keine öffentlichen Lebensbereiche mehr gibt, die frei sind und unabhängig von diesem Rattenschwanz aus Geld-verdienen-Wirtschaft anheizen-Geld ausgeben(sprich: Ferien buchen an einem im Natürlichen ausgeschlossenen, künstlichen Ort). Diese Verarmung, die einem Zwang gleicht und sich auf den Gesichtern der Passanten abzeichnet, diese Hetze, diese Verworrenheit …..

Ich sehne mich so sehr nach Menschen, die die Kraft haben, aus der Reihe zu tanzen….. nach Visionen …..
… aber, wo es keinen Tanzboden mehr gibt … wie gross muss da die Entfernung sein zwischen dem Gehirn und der Vision….

I have saved your hat.

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