Curriculum Absurdum, Anfang, 2014

Curriculum Absurdum

Mal wieder beschleicht mich das Gefühl, als hätte mein Leben noch nicht begonnen! Sicher, dieses Gefühl wird verschwinden, wenn ich nur endlich mit meinem Curriculum Absurdum fertig werde. Ich muss aber auch sagen, dass ich wegen der Arbeitsmassnahmen, die sie da draussen von mir abfordern, mit dem Schreiben nicht recht vorankomme. Knapp drei Jahre ist es nun her, dass ein physischer Zusammenbruch mein kurzes Erwerbsleben als Aushilfskraft bei der Buchhandlung Famulus beendete. Eine Kurzausbildung zur Kosmetikerin und Jobben in der Back- und Falzstube im ZEFA hat leider nicht zum nötigen Erfolg geführt. Seither reite ich zweimal wöchentlich am Zaum Hervars durch den Wald. Ziel und Zweck der Übung ist es, meinen Erdbezug zu festigen und das Vertrauen in meinen Körper zu stärken, so dass ich in absehbarer Zeit wieder regelmässig einer Arbeit ausser Haus nachgehen kann. Zumindest findet das mein Shrink, Rambo Flottmann. Obschon ich täglich ein bis zwei Stunden am Fluss marschiere, führt die zurückgezogene Lebensweise, die ich seit meinem Zusammenbruch pflege, seiner Meinung nach nämlich dazu, dass ich physisch mehr und mehr dekonditioniere. Diese Dekonditionierung hat bei mir offenbar dazu geführt, dass ich soziale Kontakte immer mehr meide und stattdessen daheim in meinen vier Wänden an meinem Curriculum Absurdum schreibe. Ich schreibe übrigens auf einem Servierboy mit goldigen Henkeln und Rollfüssen, auf dem sich schon mein Grossvater väterlicherseits seinen Braten vorfahren liess. Die Geschichte dazu war so: Mein Grossvater väterlicherseits war von Beruf Buchhalter und halbberuflich Familientyrann. Er hat in zweiter Ehe meine blutjunge Grossmutter als Magd genommen und mit ihr fünf Kinder gezeugt, unter anderem meinen Vater, Hannes Friedrich, und seine drei jüngeren Schwestern. Diese vier Kinder, mein Vater und seine Schwestern wurden von Grossvater, dem Tyrann und Buchhalter respektive Magdhalter, vor dem Abendessen jeweils ein wenig gezüchtigt. Wenn es sein musste mit der Rute! Ziel und Zweck der Übung war es, die Kinder, die alle einmal gute und solide Leistungen im Leben erbringen sollten – jedoch nicht zu gute und zu hohe! – an die Pflichten und Tugenden des Lebens zu erinnern: Ora ed labora! Mass und Disziplin! Sei pflichtbewusst und tüchtig! Dann aber, wenn mein Grossvater diese Pflicht erfüllt, die Kinder ausgepeitscht hatte, setzte er sich an seinen Tisch und rief nach seiner Frau und Magd: „Magda! Wo bleibt das Abendessen?! Du bist eine Minute und zwanzig Sekunden zu spät! Das ziehe ich dir vom Küchengeld ab!“ Worauf meine Grossmutter den dampfenden Sonntagsbraten vorfuhr, zwar auf dem Servierboy mit den goldigen Henkeln und Rollfüssen, den nach dem Ableben der des H.F. Seniors, keiner mehr wollte, wen wundert’s. ‚Willst nicht du“, fragte mich Hannes Friedrich Junior respektive mein Vater also, als ich vor neun Jahren in meine spottbillige Dachkammer mit den wurmstichigen Holzsparren zog, „ …den Servierboy mit den goldigen Henkeln solange bei dir als Ablagefläche nutzen, bis du selbst ein gesichertes Einkommen hast, und dir einen echten Tisch dann auch wirklich leisten kannst?“ Gesagt, getan. Schliesslich bin auch ich der Meinung, dass ich mir einen soliden Tisch immer noch anschaffen kann, wenn ich im Leben etwas erreicht habe und etwas aus mir geworden ist. Sowohl mein Vater, Hannes Friedrich Junior, der ETH-Ingenieur, als auch mein Grossvater, Hannes-Friedrich Senior, der Bratenliebhaber, haben im Leben schliesslich etwas im Leben erreicht! Abgesehen davon kann ich mein Curriculum Absurdum ganz gut auch auf einem goldenen Teeservice schreiben, ändert die Unterlage, auf der ich mein Buch schreibe doch nichts an seinem Inhalt. Hauptsache, ich komme nur endlich mit dem Schreiben voran!

Mein Shrink, Rambo Flottmann, ist übrigens der Meinung, das Gefühl, mein Leben habe noch nicht  begonnen, werde schwinden, sobald ich nur wieder einer sinnvollen Beschäftigung nachgehe. Dazu gehört es jedoch, dass ich erst einmal richtig im Sattel sitze und die Hippotherapie nicht laufend durch sinnlose Märsche unten am Fluss ersetze. Dass ich nicht funktioniere und bei der Arbeit Symptome kriege, liegt seiner Meinung nach nicht an einem gestörten Körper, sondern entspringt in erster Linie einem Trick meines Verhaltens. Vermutlich will ich gar nicht arbeiten, will heissen, erwerben gegen Geld, kann mir das aber ganz einfach nicht eingestehen, weil ich durchaus weiss, was für ein No-Go eine faule Einstellung zur Arbeit in diesem Land da draussen doch ist! Deswegen, und um  die da draussen vor meiner Einstellung zu bewahren, lasse ich es auf der Arbeit und nach sportlicher Ertüchtigung so aussehen, als wäre mein armer Körper schwach und gestört, was soviel heisst, wie: dekonditionniert!  Und das aber sei die eigentliche Störung, die es zu überwinden gilt.

Wenn ich meine Störung überwinden will, sagt Rambo Flottmann, sodass ich wieder optimal funktionieren kann, bedingt dies zu allererst, dass ich auch wirklich von ganzem Herzen arbeiten will und die Arbeitsmassnahmen zu meiner Wiedereingliederung in den öffentlichen Arbeitsmarkt über alle anderen Belange meines Lebens stelle. So soll ich meinen Schlafwachrhythmus endlich radikal an die Arbeitszeiten anpassen und nicht aus purer Freude wie ein Halbtagsmensch bis mittags im Bett liegen bleiben, eine Behauptung, die ich so nicht teilen kann. Schliesslich liege ich nur aus dem simplen Grund bis um Mittag im Bett, weil ich abends nie einschlafen und also auf Knopfdruck runterfahren kann, dagegen morgens nicht erwachen; sprich: booten und meinen Organismus pünktlich hochfahren kann. Und nicht etwa aus purer Freude an meinem Bett! Wäre ich jedoch so gerne Halbtagsmensch, und würde ich so gerne den ganzen Tag im Bett liegen, dann müsste ich schon ein bisschen weicher liegen, was leider nicht der Fall ist!

(Auszug Curriculum, Curriculum Absurdum, 2014)

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