Mit Achtzehn begehrte ich Einlass in Malteland und liess mich von Malte entjungfern.
Malte verfügte über eine subcutane, aversive Magie, mit der er Frauen zugleich Betören-Vergiften-Lahmlegen-Wegschicken-Wieder-Ansich-Heranziehen etc. konnte (in meinem Fall unendlich repetierbar).
Nachdem er mit mir geschlafen hatte (wovon ich mir immerhin mehr physische Schmerzen erhofft!), ging Malte in die Küche und verzehrte ein heisses Huhn mit Ketchup, während ich heim ging und den Akt mit einem Malermeisterpinsel in einer Art spitz zu laufenden Giesskanne auf einen grossen Papierbogen klatschte, wobei ich auch meinem Kinderteppich einen Miro-mässigen (oder soll ich eher sagen Picasso-mässigen) Neuverputz verpasste, was ich nie bereute, denn mein Kinderteppich war senfgelb oder besser instant kotzegelb und hat mich, ich muss es sagen, die ganze Kindheit und Jugend hindurch ja doch nur ans Kotzen oder: Beinahekotzenmüssen erinnert. (Dies ist insofern erstaunlich, da ich, obschon ich während der ersten zwanzig Jahre meines Lebens wahrscheinlich jeden Tag einmal glaubte, mich übergeben zu müssen und mich mahnte: Achtung, du musst jetzt dann gleich kotzen, Jeanne! Insgesamt wahrscheinlich doch nur ein einziges mal kotzte und zwar erst noch nach dem Verdrücken von zuviel Fischkleister in den Schirmständer meiner heiss geliebten Kindergärtnerin hinein ….
Ich muss an dieser Stelle vielleicht noch eine paar allgemeine Dinge zu meiner Kindheit und Jugend sagen, so zum Beispiel, dass ich bis auf diese Kindergärtnerin mein ganzes Leben lang nie eine Erziehungsperson schätzen gelernt habe, schulisch dumm gewesen bin, über keinerlei Begabung verfügte, Freunde zu machen, mich bei Vorträgen blamierte, aber der Überzeugung war, ich sei eine Prinzessin, der alles, ja wirklich ALLES in den Schoss fallen muss. (u.a. der Prinz), usw., und die doch bei jeder kleineren oder grösseren Herausforderung diese panische, komplett irrationale Angst vor dem Kotzen überkam!
Überdies war ich die Tochter zweier Erzeuger mit viel zu kleiner Klappe, die fortwährend wie beschämte Dienstboten alle meine (Drecks)Spuren hinter mir aufwischten, so auch jene, die ich in meinem Kinderzimmer anstellte, dem Saustall, den ich wie Schmuddelschweinchen zärtlich bewohnte und bewurmte und darin ich mich verbollwerkedierte gegen …u.a. Sauberspuckeland?
Neunzehnhundertvierundneunzig, bereits ein Jahr, nach meiner Entjungferung und kurz nach meinem ersten provisorischen und abverreckten Auszugsversuch (einem von vielen, jaja) aus dem Elternhaus liessen meine Erzeuger den Kotzeteppich mit dem farbenfrohen Schubkarren drauf herausreissen und im Rahmen einer sukzessiven Generalüberholung und Komplettabverwandlung meines Kinderzimmers in ein Ibis-Studio oder eine Ikea-Attrappe oder ganz einfach ein in Leerzimmer-! ……………… durch einen lilafarbenen Perser dann ersetzen. Es ist das bereits auch schon wieder in die Jahre gekommene, dürftige Schäumchen, auf dem ich jetzt als Vierzigjährige gerade liege und mit der Zuordnung eines chinesischen Jongliertellers über mir beschäftigt, den Provisorien dieser weggeputzten Vergangenheit gedenke:
dem Provisorium dieses Übergangszimmers in die Hand eines neuen Besitzers durch den Verkauf dieses Hauses dereinst, dem Provisorium ständigen, grundlosen Erbrechens dann doch noch, dem Provisorium des senfgelben Picasso-Teppichs, das nur ein Jahr währte, dem Provisorium meines Daseins, das nicht erst am ersten Tag, nachdem mich Malte für immer verlassen hatte, begann, dem Provisorium einer Tasse Tee, die nach zehn Sekunden erkaltet … usw.
Laues, laues Vorübergehen!!!!
Und jetzt noch einmal zurück zu Malte: Malte sass also auf einem Schemel und ass gierig das Ketchup-Hähnchen, während ich im Türrahmen zur Küche stand (oder lag ich noch auf dem Teppich?) und zusah, wie er sich mit halb geschlossenen Augen das Fett von den langen spröden Fingern leckte. Er war ganz in sich gekehrt, als wolle er singen oder … beten … Und obwohl mir klar war, dass sich Malte absolut nichts aus mir machte und mich bei jeder Gelegenheit wegschickte, und mich, wann immer er Lust hatte, unter Tränen, die so schmetterdick wie das Moschusparfüm in seinem Fläschchen, mit seinem kleinen Würgehalstüchlein wieder an sich zog und mich tränkte zwischen den fleischigen Schneisen seiner sündhaft, heiligen Marienküsse …
… liebte ich Malte.
(27.1.2018