Zu meinem Live-Monolog vom „beim Optiker“

Ich wurde kritisiert, dass ich eine schwere ME-Situation mit einer konkreten Situation, in der sich Natascha Kampusch befand, verglich. Ich erwähnte das konkrete Beispiel: Natascha Kampusch wurden von ihrem Entführer mit den Jahren immer wieder kleine Freiheiten eingeräumt. So durfte sie mit der Zeit auch ab und zu zum Einkaufen mitgehen. Einmal, so erzählt es Kampusch in ihrem Buch, steht sie allein in einem Laden (ich weiss nicht mehr, ob es eine Apotheke war), und redet mit dem Verkäufer/in. In dieser konkreten Situation habe ich eine Ähnlichkeit mit den gelegentlichen „Ausflügen ins Leben“ schwerer ME-Betroffener gesehen: sie sind für einen Moment da, es kommt zu einer Begegnung mit der Aussenwelt, doch dieser Moment ist nicht nur irreal wegen seiner scheinbaren Normalität, er ist auch bedroht.

Dieser Vergleich sei aber eine Nivellierung von dem, was Kampusch durch ihren Entführer erlebt habe, und also ein Vergleich, der daneben sei.

Ich gebe zu, dass spontanes Reden diese Gefahr mit sich bringt. Es fehlt an Verdichtung und an Überprüfung von dem, was ich rauslasse. Hätte ich die Möglichkeit, an einem realen Gespräch (Gesprächsrunde) teilzunehmen, könnten  aus meinen Fehlbarkeiten Disskussionen enstehen. So bleibt es ein Monolog, der kritisiert werden muss, ohne, dass ich im Austausch mit Anderen zum Schluss kommen kann, dass gewisse Ansichten von mir zu radikal sind oder für andere nicht stimmen.

Ich habe den Punkt mit dem Kampusch-Vergleich rausgenommen, obschon ich nicht ganz sicher bin, ob man per se sagen kann, ein solcher Vergleich sei daneben. Es ist aber bezeichnend, dass ich jahrelang davon schreiben kann, was die Hintergründe sind, warum die Situation, in der ME-Betroffene sind, so schlimm ist, ohne, dass sich meine Umgebung für diesen politischen und kriminellen Hintergrund interessiert. Es wird zwar anerkannt, dass es ME-Betroffenen schlimm geht, aber dass diese Situation so „gewollt und toleriert“ wird, dass es sich um eine unterlassene Hilfeleistung handelt, die den Zustand der Bedrohung der v.a. schwerst Betroffenen mit verursacht, das wird nicht zur Kenntnis genommen. Diese Unterlagen mögen nicht gelesen werden. Oder werden mir gar als Verschwörung ausgelegt.

Nun ja, wenn dem so ist; warum wird mir dann gesagt, dass ich keine Vergleiche ziehen darf mit Menschen/Situationen, zu denen ich eine Ähnlichkeit, wenn auch nur in Bezug auf bestimmte Situationen, sehe? Ich finde es schon zweifelhaft, wenn jemand von Nivellierung spricht, ohne jemals einen Film über schwerst ME-Betroffene gesehen zu haben. Ohne sich durch Informationen bewusst zu machen, dass die fehlende Forschung und nicht vorhandene Unterstützung des Gesundheitssystems seit vielen vielen Jahren, aus „dem Bösen“ entsteht und nicht einfach so, weil man halt die Mechanismen der Erkrankung nicht herausfindet (da es ja so komplex ist).

Ich habe den „Höllenhund“ erwähnt. Für mich kann er in unterschiedlichesten Gestalten wirken.

Es ist aber so, dass wenn ich vom Sterben junger ME-Betroffener rede; dann interessiert das kaum jemand, mache ich einen Vergleich mit einer Situation, in der ein Mensch oder eine Gruppe in einer anderen, aber ebenfalls bedrohlichen Situation steckt oder steckte, die oft mitverursacht oder verursacht ist durch das „menschliche Böse“, dann werde ich kritisiert.

Es gibt offenbar „Verbrechen“, die eine Art „Allgemeingut“ sind und als solches nicht angetastet oder herangeholt für Vergleiche werden dürfen. Jedermann weiss, wie sich diese „Verbrechen“ anfühlen und wer die Verbrecher sind. Dabei war das vielleicht einmal nicht der Fall. Vielleicht wurden viele dieser „Verbrechen“ oder auch abgeschwächter: „Verfehlungen“, in der Zeit, in der sie stattfanden, verdrängt, bagatellisiert, nicht richtig eingeschätzt oder ganz einfach toleriert.

Ja, in der Geschichte läuft es ununterbrochen so ab: Verbrechen geschehen täglich, auch in grossem Rahmen (wie wir aktuell bis zur Penetranz sehen), aber erst im Nachhinein gehen sie uns wirklich etwas an. Dann aber, wenn ein struktureller Graus in seiner Alltäglichkeit den Status einer Historie kriegt, sind diese „Fehler“ und „Verbrechen“ auf einmal unantastbar und unvergleichlich. Sie haben dann nichts mehr mit uns zu tun, weil wir- die Menschheit- wohl glauben wollen, dass wir uns bessern, wenn wir uns von dem, was wir zu verantworten haben, abgrenzen und abheben.

Vielleicht habe ich darum einen leicht provokativen Vergleich gezogen: weil die Alltäglichkeit gewisser „kleinerer“ Verbrechen, die jetzt geschehen, mundtot zur Kenntnis genommen werden ….

Ich würde mit keinem Wort nivellieren und also herabstufen wollen, was ein Entführungsopfer, das achtjährige Geiselhaft erlebt, durchmacht. Ich habe es nicht erlebt, ich habe nur das Buch von Natascha Kampusch gelesen. Und ich habe versucht, mich in ihre Situation zu versetzen. Ich denke nicht, dass mir das gelungen ist.

Wenn Nivellierung aber Gleichmachung bedeutet, dann entspricht das nicht meiner Absicht. Vergleichen bedeutet nicht Gleichmachen. Es könnte ein Versuch sein, anhand eines Beispiels (nicht der Situation als Ganzes), das Verständnis für ein Erleben in einer ganz bestimmten Situation herauszusfiltern, die so nicht (nach) oder (mit)empfunden werden will oder kann. Zb.

(9.4.2022)

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