Man umkreist das Eigene…. immer wieder.
Ein wenig ist das Alles wie den Lebenslinien des Baumstammes entlang. Man passt da und dort etwas an. Je nach Verlagsprofil schräubelt man ein wenig oder beginnt wieder von vorn oder zückt einen anderen Ton, ganz zufällig.
Ich beherrsche diese Art von Aussen-Deskription nicht und muss aufpassen, dass ich in der Grenze meines Vermögens bleibe.
Sehr geehrte Frau X
Mein Name ist Marion Jeanne Suter, ich bin 40….. Jahre alt, Schweizerin und habe in den letzten zehn Jahren an einem Entwicklungsroman geschrieben, der mein Leben als Frau mit diversen Handikapé (wie man hierzulande sagt) zum Inhalt hat. So habe ich über fünfzehn Jahre lang an der neuroimmunologischen Krankheit Myalgische Encephalomyelitis gelitten, umgangssprachlich: am Chronic-Fatigue-Syndrom, ohne dass ich es wusste. Diese Krankheit, die zu zirka 90% Frauen betrifft, ist bei der Weltgesundheitsorganisation seit 1969 als physische Krankheit abgelegt, wird aber auch heute noch als psychosomatisches Leiden abgetan, zumindest hier in der Schweiz. Nun, im Rahmen der Long-Covid-Situation taucht die Krankheit erstmals wieder in der medialen und medizinischen Welt auf, da ein nicht geringer Prozentsatz der Covid-Betroffenen nach durch gemachter Covid-Erkrankung vermutlich ein postinfektiöses CFS entwickelt. Dies bedeutet, dass Schäden am Immunsystem und Gehirn zu einer multisystemischen Erkrankung führen können, die mit ME identisch ist und die die Lebensqualität der Betroffenen drastisch einschränken wird. ME kann durch jeglichen viralen Infekt ausgelöst werden, sehr oft ist es das Ebstein Barr-Virus. Daneben wird die Krankheit auch multifaktoriell oder durch physische und psychische Traumata, Unfälle oder Schwangerschaften getriggert.
In meinem Fall hat das Problem mit einer deutlichen psychiatrischen Komorbidität in den Jugendjahren dazu geführt, dass meine massiven körperlichen Beschwerden ab dem Zwanzigsten Lebensjahr weiterhin allein auf die Psyche abgeschoben wurden. Ich könnte nicht behaupten, dass meine vorwiegend negativen und unproduktiven Erfahrungen, die ich mit den medizinischen Institutionen, den Institutionen allgemein, machte, auf mein Fühlen/Schreiben keinen Einfluss genommen hätten!!!! Diese Erfahrungen dünken mich, ich bin mir der polarisierenden Färbung durchaus bewusst (aber eine gewisse Haltung und Pointe ist im Schreiben nötig!) patriarchal verwurzelt, weil die Erwartungen, die man an mich stellte nach einem extremen Muster von Leistungsdenken geformt waren, dem ich nie entsprechen konnte noch wollte!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! (das liess schon meine Zyklusbedingte Fragilität nicht zu!) Unter anderem führte bei mir schädliche Aktivierungstherapie nach dem Muster „Gring ache u sekle!“ spätestens Mitte Dreissig zur physischen Invalidität und dann, vor knapp vier Jahren, zur bisher irreversiblen Bettlägerigkeit.
Trotzdem all dem ist mein Roman „Glaubenssatz“ lange nicht nur ein Roman über (physische) Krankheit! Die beiden letzten, späten Kapitel kreisen zwar eng um die ME und also um jene Beschwerden, die mein Leben zum Balanceakt, wenn nicht zur Hölle werden liessen. Ingesamt aber halte ich „Glaubenssatz“ eher für eine poetische und persönliche Auseinandersetzung mit mir selbst und den Ressourcen, die mir seit Kleinauf für meine Arbeit zur Verfügung standen. Ich wollte und musste immer etwas „Schöpferisches“ und „Eigenbrötlerisches“ machen. In meiner Jugend habe ich die Bücher von Sylvia Plath und Anne Sexton gelesen. Ich mag diesen konfessionellen Style, den man damals Bekenntnisliteratur nannte, auch heute noch, obschon die Qualität des „Bekenntnisses“ in den letzten Jahrzehnten des Nabelschauüberhangs natürlich mächtig verloren ging. Mein Roman ist in dem Sinne, würde ich meinen, irgendwie reaktionär. Als intuitive Autodidaktin ohne höheren Berufsabschluss folgte ich beim Schreiben meiner inneren Stimme, wobei ich nicht anders vorging als ein Maulwurf beim Graben eines Tunnells; ich denke, das Ziel ist immer irgendwie eine Art Ankommen im „Licht“, das Frieden und Klarheit, eine Art Ausatmen bedeutet.
Mein Roman „Glaubenssatz“ ist ein fiktiver Entwicklungsroman und hat drei Teile: das Curriculum Absurdum, Teil Eins, beschreibt die frühen Jahre der Dyskalkulistin und verschrobenen Göre Jeanne Stürmchen. Das Tränencurriculum, Teil Zwei, beinhaltet einen Psychiatrieaufenthalt und die Berentung um die Dreissig. Auf dem Höhepunkt ihrer erzwungenermassen isolierten Lebensweise erfährt Jeanne in diesem Teil, dass ihre körperlichen Symptome niemals „Einbildungen“ waren, sondern auf die Konsenskriterien der Myalgischen Encephalomyelitis zutreffen. (meine durch einen Neurologieprofessoren ausgestellte Diagnose folgte 2018 mit über Vierzig). Dieses völlige Aufsichalleingestelltsein ohne gesellschaftlichen und medizinischen Rückhalt, wie es Tausende von Betroffenen erlebten und noch erleben, beschreibe ich in der Szene eines Albtraums, in dem die Betroffene Stürmchen in einem Sportstadion die Möglichkeit hat, zu „beweisen“, dass sie nicht simuliert, was bereits an den Vorbehalten des Gremiums scheitert. (Stürmchen ist und bleibt ein Psychocrack!) Es ist ein absurdes Kapitel. Der Dritte und letzte Teil behandelt die späte, aber scheiternde Liebe der über Vierzigjährigen Jeanne zu einem Mann. In dieser Zeit droht Jeanne Stürmchen ununterbrochen in die Pflegebedürftigkeit abzudriften. Sie ist innerlich gebrochen und einem grässlichen Frustrationspotential ausgeliefert, kann aber auf eine gewisse untröstliche Entwicklung von der Göre zur reifen Frau zurückblicken. Oder?!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Haha. (nein das schreibe ich nicht!!!!!!!!!)
Falls Sie bis jetzt noch Interesse haben, bitte ich Sie, einfach mal in das beigefügte Kapitel reinzuschauen!
Ich habe Ihren X…. Verlag angeschrieben, weil ich finde, dass ich eine „weibliche“ Geschichte erzähle. (Wenn diese reaktionäre Feststellung überhaupt noch erlaubt ist in einer Zeit, in der man an der Auflösung des biologischen Geschlechts selbst herum operiert, (( mehr als an den Geschlechterrollen!!)).
Der künstlerische Ausdruck bleibt zum Glück immer unschubladisierbar; poetisch!
Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit!
Freundliche Grüße
Exposé
Jeanne Stürmchen ist ein verspieltes, introvertiertes und widerspenstiges Kind, das gerne malt und in einer Art Traumwelt lebt. Sie weiss schon früh, dass sie einmal ein Buch schreiben will. Diese Welt fängt an zu bröckeln, als Jeanne in die Schule kommt. Sie ist Dyskalkulistin. Auch entwickelt sie eine schulische Versagensangst. Kurz vor Schulabschluss wird die sportlich starke Jeanne zudem kränklich und erleidet einen Infekt nach dem andern und hat schliesslich einen physischen Zusammenbruch. Jeanne Stürmchen ist 20 Jahre alt und wird fortan von rätselhaften physischen Symptomen geplagt. Versuche, im Arbeitsleben Fuss zu fassen, scheitern. Auch das konditionelle Aufbautraining, zu dem Jeanne Stürmchen immer wieder angehalten wird („Schreiten Sie über Ihre Symptome hinweg, als wären Sie Rambo!“), ändert an den Beschwerden nichts. Mit knapp Dreiunddreissig wird Jeanne schliesslich berentet. Während eines psychiatrischen Therapieaufenthaltes rät man ihr erneut zu physischer Kondition und Aktivierungstherapie. Jeanne ist mittlerweile jedoch physisch so schwach, dass sie meistens den ganzen Tag liegen muss. Als sie endlich eine Diagnose für eine physische Krankheit bekommt, muss sie feststellen, dass diese gesetzlich nicht anerkannt wird und es weder Therapie und kaum Forschungsgelder gibt, um diese Krankheit zu entschlüsseln. Vierundvierzigjährig verliebt sich Jeanne noch einmal und erlebt den „energetischen Strom, der ihre zellulären Kern“ erreicht. Die Beziehung scheitert jedoch. Was ein poetisch- romantischer Spaziergang mit der Suche nach unmittelbarem Zauber hätte werden sollen für Extremexistentialistin, Proll, Hochsensible und Personne Handicapé Jeanne Stürmchen, entpuppt sich als dröge Gefangenschaft im Käfig der Myalgischen Encephalomyelitis/Chronic-Fatigue-Syndrom, auch Playing-Dead-Syndrom genannt.
Auszug aus dem Tränencurriculum:
Ich wollte aus dem Problem also kein Problem machen. Seit Jahren hatte ich nämlich gelernt, aus einem Problem, das direkt meinen Körper betraf und das sich also physisch manifestierte, kein Problem zu machen. Auf jeden Fall kein physisches, aber eigentlich auch kein psychisches. Jahrelang hatte ich aus einem physischen Problem ein psychisches Problem gemacht, in dem ich mich innerlich dazu hatte überreden lassen, ich hätte eines! Redete ich mir ein, ich hätte ein psychisches Problem oder ich sei sogar im klassischen Sinne verrückt, konnte ich immerhin mit ein bisschen Aufmerksamkeit rechnen!
Über die Krankheit Myalgische Enzephalomyelitis, g.93.3
Die biochemischen Fehlregulationen der Myalgischen Enzephalomyelitis (umgangssprachlich Chronic-Fatigue-Syndrom) sind Gegenstand einer bislang wenig beachteten internationalen Forschung. Die Schweiz lehnt es ab, die katastrophale medizinische Versorgung der ca. 20000 Betroffenen zu verbessern. In Deutschland geht man von ca. 250000 Betroffenen aus. Im Zusammenhang mit Covid-19 und den Langzeitfolgen, wird aktuell vermehrt von Chronic-Fatigue-Syndrom in den Medien gesprochen. Es ist aber noch nicht absehbar, ob die Betroffenen eines Long-Covid-Syndroms eine ME entwickeln oder andere Fatigue-bedingte Probleme.
Quak.