29.6.2003
Sehr geehrter Herr W.
Habe ich Ihnen schon von meinem „Wehrmachtsbüchlein“ erzählt? Es hängt über meinem Bett und ich trage dort die Jungs ein, mit denen ich irgendwie in eine Art Austausch gerate. Es ist ein ziemlich leeres Büchlein, denn all das ist schwierig und aufreibend. Und der Markt ist auch nicht gerade gross. Aber die Lust ist schon eine Treibkraft. Ich meine da in meinem Fall: die Lust, zu tanzen. Die Lust, zu singen. Die Lust, (der Hunger) auf Worte. Die Lust, einzudringen in die Augen einiger weniger Männer. Die Lust, Macht auszuüben. Die Lust, prickelnd, beim Anblick schöner Naturbilder. Die Lust (der unendliche Durst) nach Wasser. Die Lust, meine physischen Kräfte im Gras mit einem Mann zu messen. Die Lust an der Schwäche und dem Ausgeliefertsein. Die Lust am Schreien. Die Lust an den Tränen, die voll Liebe oder ein Ventil der Leere sind. Die Lust am Schmerz, dem Zuviel der Hingabe. Die Lust, endlich von einem Mann flach gelegt und für einen Augenblick ausgelöscht zu werden, denn die Erfüllung muss ein gewaltiger Absturz sein. Die Lust an all dem, was nur in meiner Imagination eintrifft. Ich bin abgeschweift.-
Vielleicht haben Sie den Film „die Klavierspielerin“ nach dem Buch von Elfriede Jelinek gesehen. Ich glaube manchmal, ich bin so. So wie die Klavierspielerin. Autistisch. Irgendwie verschlüsselt. Die Klavierspielerin ist etwa Vierzig, lebt noch bei ihrer Mutter und befriedigt sich aus der Ferne in der Nacht auf einem Parplatz im Autokino. Als ein Klavierschüler sich ihr nähert, geht sie nur auf Teile seines Werbens ein, sie ist tief ambivalent. Ich bin natürlich nicht so gestört, denn im Gegensatz zur Klavierspielerin darf ich meine Triebe frei leben. Aber ich habe trotzdem so meine Probleme.
Die letzte Nacht trieb mich zur Weissglut. Ich will auf den Menschen nicht warten, kommt er je? Aber dann weiss ich auch nicht, ob ich länger die Liebe will oder doch nur noch die Liebe in der Lust, die plötzliche Aufwallung von Gefühl für einen Menschen, den man in der Lust liebt, nicht im Leben. Für Klaus Kinski hatte Geschlechtsverkehr eine lebenserhaltende, ausgleichende Funktion. Er konnte sich jede Nacht in irgendeine Frau ergiessen. Hat er wirklich jede Nacht diese Seligkeit einer Auslöschung erlebt? Dann ist der Schöpfer gemein! Ich habe diese Gabe nicht! Ich bin von der Natur nicht so ausgestattet! Abgesehen davon werde ich regelrecht von meinem Gehirn getäuscht. Mein Gehirn respektive mein Äther (die Sphäre zwischen meiner Haut und der Luft) kennt z.b. warme Schmiegsamkeit und Andeutung des männlichen Geschlechts, das Wiegenlied, die Tränen der Seligkeit, die Ekstase zwischen Haut und Luft. Aber mein Körper ist anders. Genaugenommen mein mich definierender Körpereingang. Immer daran, sich zu entziehen, hervor zu pulsieren. Und wieder zu entschwinden. Zur Weissglut, weil ich, tschuldige, wenn ich das mal so sage: einmal einen zielgerichteten männlichen „Fick“, den männlichen „Fick“ meines Gehirns umgesetzt haben möchte! In einer technisch reibungslosen Abhandlung! Habe oben nicht gesagt: die Lust, an der Macht? Diese Macht habe ich nicht ….
Beispiel: Der Typ ist also mittelmässig, relativ fremd. Ich spüre keine Wärme mehr. Er soll sofort gehen. Ich kann nicht weitergehen, in das materielle, wirklich materielle sexuelle Gebiet. Da, wo man es festmacht. Ich bin also doch blaustrümpfig wie meine Mutter. Also doch! Ich warte auf die Liebe! Die reine, permanente! Den Luxus einer durchsichtigen ungetrübten Erfüllung. Verzicht ist rein und schön, ist besser. Das hat nichts Moralisches. Ich nehme schliesslich einen ganzen Menschen in Kauf, einen ganzen Menschen in mir ein! Dafür muss ich diesen Menschen sehen mit meinen Poren! Und er? Wie müsste er spüren und sehen?
Also werde ich im Bett wie Ingeborg Bachmann enden. Und das macht mich kirre. Ein Teil von mir möchte genau wie Klaus Kinski, mir meine tausend Orgasmen holen, und dann relaxt und belebt in der Nacht entschwinden! Aber ein anderer Teil ist nur Äther!
Ich fürchte, ich kann nur schreiben und träumen. (und Autoerotik betreiben.)
9.7.2003
Falscher Termin. Habe die Pforten geschlossen. Gehe in Unruhe und Angst einher, weil körperlich etwas ncht stimmt, aber ich will mich wieder hochschaffen. Darf nicht ins Glashaus zurück, nicht? Bin unentschlüsselbar und stosse auf Unverständnis. Sind es doch meine Empfindungen, physischen Wahrnehmungen, die nicht im Rahmen sind. Eine kleine Abweichung in mir, an mir. Es: macht mir Probleme, Schmerzen. Es: wie Erkenntnis. Gut, habe ich noch so was wie einen Grössenwahn, all Schaltjahr einmal. Erkenntnis, wie Blaise Pascal, nur auch noch einen viel zu weichen Kern. Etwas wie Herz und Seele und Lust, zu leben und nicht allein zu sein, einen Kern, der die Erkenntnis immerfort nicht erträgt oder als Last mit sich herum schleppt, ein schizophrenes Glanzpapier, unsichtbar, aber da, allein zu verstoffwechseln. Und daher werde ich wahrscheinlich immer krank oder anfällig bleiben, weil ich einerseits leben muss und andrerseits das Leben verneinen, die Welt auf meinem Buckel tragen muss, wie jemand der seine rollstuhlgängige Urgrossmutter mit trägt. Nur phasenweise platze ich wie ein junges Wiesel vom Everlasting No ins Everlasting Yes, dann kommt wieder der Schock: urteilen, trennen, einsehen, erkennen. Und die physischen Schmerzen, die von irgendwoher kommen. Keiner weiss es. Es macht mir angst, dass Mächte in mir toben, die die Medizin und Wissenschaft nicht aufdecken kann (oder will), ich stelle mir die Naturkatastrophen vor, wie nahe sie an den Naturwundern sind und dann doch in die Katastrophe kippen, wie die Schöpfungsgeschichte. Bin ich nicht auch eine Schöpfungsgeschichte? Ahnungslos, ausgeliefert dem Schrecken der Schmerzen, dem Strudel kurzen Glücks, der Willkür von Naturgewalt, den blutlosen, ausgepressten und entfremdeten Spielen des Systems, immer wieder der Leere und seidigen Streicheleinheiten, die von irgendwo her, den Naturwundern, den einzigen Wundern, auf die ich hoffen kann, kommen. Erkenntnis. Was meine ich damit? Welche Erkenntnis ist es denn? Es muss eine sein ….
9.7.2003
Aber werde mich einheiraten in die Welt mit ihren vercodierten, unfassbar weltlichen Priestern und verschachtelten kalten Gelübden. Teile von mir wieder markttauglich machen, die leicht Verkrüppelten, vielleicht. Ich kenne keinen, der sich nicht verkauft, nicht prostituiert. Warum dazu nicht gerade die ganzen Anlagen verwerten …. es reicht ja schon nur, wenn ich wieder in die Tagesstätte gehe und für 3 Franken Fünfzig Papierrosen bastle.
20.7.2003
Will vom Glück schreiben, das mich wieder heimgesucht hat, ganz plötzlich, Sonntagabend, Vierzig Grad im Schatten, keine Stunde Schlaf und gestern Nacht im Rücken wie farbiges Pfauengefieder. Drei Bier, ich frei, so frei und wild und schön wie Emily Watson in Breaking the Waves, bereit, mit offenen Augen die Ausgänger zu streifen. Ausfliegen mit euphorischem Blick, je mehr ich getrunken hatte, ganz Reh, braunes enges Zebrakleid, brauner Kajal, Pumps mit rasselnden Schellen, frisches, flehendes offenes Haar, bald das Herz, bald der Hahn, bald das Küken der Party, beheimatet, aufgenommen, hüpfe von Chris, dem ich nichts nachtrage zu Manu, den ich schon lange im Visier habe, lege meinen Kopf, der leicht ist wie eine Feder und doch voller sich drehender lustiger Turbulenzen auf sein Knie inmitten der Menschen und Lampione, über mir die weiss funkelnden Gestirne, leichte Birken, die sich neigen im Wind und: „Ach!“ Seufze. Übergebe mich gern an ihn. Warum noch kennenlernen? Wenn ich da, zugegen sein kann mit allem, was ich habe. Aber oke. So einfach ist es dann doch nicht. Manu ist still, fast apathisch. Ich will ihn keinen Augenblick mehr missen, ich spüre, wir sind zart verwickelt wie Spinnweben in Etwas. Etwas Tiefes, das mich Schweben macht, und das nun weiter geht, ein Stunde länger, und das heute noch in mir schwebt.