, Früher, wenn ich Malte zum letztenmal sah, zum letztenmal das Gehirn und die Adern voller Rotwein und Bier, sagte ich ihm einen Satz, immer, im Bewusstsein, dass es mein letzter Satz ist für ihn.
Vor der Cafebar Mokka, nachts um vier, am Thuner Schloss vor den uralten Gefängnisgittern, draussen beim See, im Vorbeigehen: ich trat an ihn heran, rollte oder flog, nein, ich wusste nicht, wie. Es war ein Umsinken, in dem Moment, in dem er, fertig und verbraucht von der Nacht, von seinem letzten Bier aufschaute und mir diesen Moment des Zuhörens schenkte.
Mann, er war so voll u so weggetreten. Und doch hab ich bei ihm diesen Raum gespürt, diesen zusätzlichen Raum. Es kam mir vor, als hörte er anders zu, von viel weiter her; und doch musste ich mir sein Ohr stehlen, um ihn, Malte, heimlich ein letztesmal zu kosen durch meinen letzten Satz an ihn hindurch.
Man hätte mich mit Kompott übergiessen können, wenn ich seine Aufmerksamkeit endlich bei mir hatte. Wenn Malte mir zuhörte, dann war es, als wäre da die präziseste Stille, aber gleichzeitig umgarnte seine Aura Musik. Echo verströmte sein lakonisches Schweigen, seine teuflischen, traurigen Augen, man hätte mich abschleppen müssen. Ich sah nichts mehr, fühlte nichts mehr, was ausserhalb seiner Aura geschah, neben uns. War eingesponnen in sein Ohr, in sein Wort, in die Berührung seines verschnitzten Armes; es war mit Malte wie herangezogen werden von einem Magnet unter Zeitlupe.
Das Tempo einer Langsamkeit, in der ich vergehen konnte.
Nie wieder konnte ich so an jemanden hinsprechen. Umsinken in so einen Abgrund hinein. Anderen, die nachher kamen, fühlte ich auf den Grund, schnell und flüchtig, spürte ich, bis wo ihr Bewusstsein reichte und bis wo ihre kurze Berührung. Ich warf mich vor einige auf den Boden hin. Ich war so jung. Und Malte war fort. Nun wollte ich ihn in mir selber tragen, wollte werden wie er, seine Gesten, seine Schichtungen, seine verzitternde tiefe Wärme, den Zynismus, mit dem er mich verschnitten hatte, mir einverleiben.
Manchmal, wenn jemand an mich herantrat, am Ende einer chaotischen Nacht, vertraulich u weit geworden im Wein, ulkig, in einem Innenhof, mit einem letzten Satz, tat ich so, als könnte ich dem Fremden diesen Raum schenken, seine fremde Vertraulichkeit trinken. Ich schwang nicht zurück, ich fasste ihn auf, wie ein Kuss, nicht mehr loslassend, bis ich ihn beherrschte.
Dann liess ich los und ging weg, fühlte mich leer und weinte um meinen Malte. Den ich nicht sein konnte, mir nicht einverleiben konnte, weil er ein Anderer war, nicht ich, ganz einfach.
Uns (mir und den Späteren) selbst in die Quere kam ich mit einem unsäglichen Ego, von dem ich wünschte, ich hätte es wenigstens Malte gestohlen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht hingebungsvoll war oder die Liebe für mich ein Spiel geworden, für meinen Körper war sie ein gewaltiges Erlebnis….aber ich war doch immer auch noch da und drängte in die Mitte, ich wollte keine Gleichheit mehr ab da, (nach Malte), sondern nur meine Berauschtheit ihnen und vor allem mir schenken.
Und Sätze waren oft so endlos…. verpuffend.
Oke, einmal hab ich es vielleicht doch noch erlebt. Und ich ertappte mich mit einem letzten Satz.
Und in diesem letzten Satz steck ich noch. Doch im Unterschied zu Malte, dem ich im Wein und Bier, jeden meiner letzten Sätze hin erbrach, und keine Gelegenheit ausliess, besoffen und entgrenzt, in der Nacht, mich an ihn zu binden, auf offenen Plätzen,ein letztes mal mit einem letzten Satz …
werde ich diesen letzten Satz diesmal vermutlich für mich behalten. Ich werde die Zeit verstreichen lassen und vielleicht sehen können, was mit einem Satz passiert, die nicht geschenkt u nicht genommen werden kann.
Wie immer dieser letzte Satz auch heisst.
Wenn man aufhört letzte Sätze zu sprechen, verlieren sie mit der Zeit vielleicht in einem selbst drin ihre Bedeutung.
Alles wird lose. Und die Rose verblüht in einen ungestillten Frieden hinein.
Das ist nie und nimmer das, was ich wollte.
Ich wollte mit meinen letzten Sätzen die Momente wieder lebendig machen.
Und jene mit Malte, damals in den Nächten, sollten nie enden.
(28.9.2020)