Mein *Sekundarlehrer war ein Arschloch und Sadist, doch wenn er dicht hinter meiner Stuhllehne vorbei schlüpfte, wurde mir vor Lust und Seligkeit schwarz.
Weil er die Art hatte, im Unterricht den Launischen rauszuhängen, sich aufs Fensterbrett zu setzen und zu schmollen, uns fertig zu machen, weil wir alles langweilige Idioten waren, fing ich an ihn mit James Dean zu vergleichen.
Seine Brille hatte zwar eher etwas von einem Beamten, die leicht fleischigen Lippen waren militärische Rufe gewöhnt (er war mit meinem Vater zusammen im Militär, aber mein Dad war Ranghöher!) und das schüttere aschene Haar besass ebenfalls rein gar nichts von der Tolle des legendären Hollywood-Rebellen.
Er war eben Sekundarlehrer Wolf, der gerne etwas Anderes geworden wäre, aber nun als Lehrer in einem Kaff unter lauter Mittelmässigen unglücklich war. Und das war schon ein Ding, das mich mächtig mitnahm!
Ich habe bereits an anderer Stelle erwähnt, dass Lehrer Wolf immer von den dümmsten Schülern den Papierkorb leeren liess.
Die Schüler der Neurreichen behandelte er feindselig, zu den Bauernkindern war er entweder zuvorkommend oder unverschämt.
QUE-CE-QUE C’EST UNE POIRE? fragte Wolf den zurückhaltenden Lukas, Sohn eines Elektrohändlers, der ungern französisch sprach, ein längliches Gesicht hatte und bei jeder Gelegenheit hochrot, ja, fast violett anlief.
Lukas antwortete nicht und wurde erst rot, dann violett.
„Dann schau doch dich selbst an!“, rief mein James Dean, klimperte mit seinen Sporen im Klassenzimmer umher und wurde selber hochrot.
Dieser Lehrer war schon allerhand!
Meine Träume wurden immer verwegener, mein Verlangen immer grösser.
Um möglichst nie von ihm aufgerufen zu werden in einer schulischen Sache (Birnen, Grammatik, Geografie), stellte ich den Pultdeckel
minutenlang auf, falls sein Blick mal in meine Richtung wanderte. Dies tat er aber so gut wie nie, da ich mich vier Jahre lang hinter einer Abwesenheit tarnte, die so abweisend und tief verstört wirkte, dass Lehrer Wolf mich überging.
Einmal suchte er im Englischunterricht unter uns trägen Schülern nach einer Übersetzung für einen Satz.
Der Satz hiess: „Ein Mann liegt am Strand.“
In diesem Augenblick musste ich wahnsinnig lachen, Lehrer Wolf aber auch. Wir lachten uns an. Niemand sonst lachte.
Wenn ich von Sekundarlehrer Wolf nach vorne gerufen wurde, und er mir anhand meines Schulhefts etwas erklären wollte,
meistens war es ein Tadel, fing ich an, mich zu Hundertachtzigrad umzudrehen. Meine Pultnachbarin Reny, die Eingeweihte,
lachte mich an. Aus der fernsten Nähe hörte ich seine warme, leicht hölzerne Stimme:
„Marion, dreh dich um, wenn ich mit dir rede!“
—–
Ich sah diesen Mann am Strand liegen. Nachts quälte und liebte ich ihn, abwechslungsweise.