3004_The last days of Summer with(out) Myalgic Encephalomyelitis

Jeden Tag, rückwirkend, will ich auflesen und mir noch einmal vor Augen führen, was ich alles erlebt habe. Irgendwann gegen Ende August öffnete Thanatos sein schwarz betoniertes Dach, das so lang wie dick ist, und in das er mit seinem grandiosen Atem kleine Luken hinein blasen kann.  (es gibt auch einen normalen Eingang, ein Tor, bewacht vom Höllenhund). Ich aber, Penelope, schwebte ganz allmählich durch die Luke, in einigen Stunden, in ein zwei Tagen vielleicht, als ich erkannte, dass ich Oben war. Es war morgen, und Morgen gibt es nur auf der Erde, Morgen mit Tau, frischer Luft und diesem geheimnisvollen Dunst. Ich sah, dass der Morgen die Menschen lieber ins Freie spuckt als der Nachmittag, ich kam an so einigen vorbei, wir redeten, am Fusse eines Tages, der uns auf sicher war. Und das machte mich leise euphorisch.

Ich ging in die Stadt und brachte viele Farben nach hause, um die Bäume und das Meer zu malen, das sich hinter dem Abhang der Reichenbachstrasse hinzieht. Ich bemalte meinen Körper und hatte Besuch; jemand von der alten Welt; der meinen ganzen CubaRum trank und erzählte: dass er inzwischen Zehntausend Franken Lebenskosten hat pro Monat, mit dem Kind. Aber ich dürfe mein Leben nicht wegwerfen. (Und er fing auch besoffen an, ein wenig zu fummeln, auch das wie vor Tausendjahren, so beruhigend, Herr Wissenschafter.)

Aber am nächsten Tag erkannte ich mich immer noch Oben, marschierte den Wald hinab und durch einen Buchenhain (der nichts anderes war als die hässliche Unterführung von Worblaufen ), der Flusschlaufe entlang, Gräser, struppige und hohe, Farne und Efeuaritge säumten den Weg, tropfendes und bemoostes Gestein, der schattenhafte Wall des überhängenden Reichenbachwaldes. Und unter dem massiven Sandsteinfuss der Tiefenaubrücke hindurch, mufflig alles ein bisschen, aber doch hellichter Tag, bis zur Kläranlage und dann den Wald hoch, leichte Bise, vibrierende Blätter, so klar und hell abgezeichnet im Licht, dass jede Rippe sichtbar.

Ich kam nachhause, mit Blütensamen gesprenkelt, müde, wie ein Gesunder und schlief gut. Aber am nächsten Tag und am übernächsten Tag wollte mich Thanatos immer noch nicht zurück. Also ging ich hinunter, wieder durch den Wald, zog am Ufer meine blauen Brügg-Sandaletten aus und legte mich in den Kleidern flach ins Wasser, das sich wie Samt über mir schloss, so kühl und warm.

Und dann, ich weiss nicht, abends zog ich mit dem Raven-flügelchen-Kleid los, liess mich bringen mit vielen anderen Leuten in die Stadt. Ein Schwarzer rannte mir hinter her und rief: You have a nice dress! Da wurde ich sehr traurig. Und der Schwarze, der davon Wind bekam, das ich nicht stundenlang auf dem Bordstein stehen kann, fing an, mich zu überreden, doch mit ihm in die Kirche zu kommen usw. Alles wie gehabt und so beruhigend, viele Jahre zuvor, als ich noch auf Erden wandelte, im Marzili unten oder beim Blutturm, und wie beruhigend war es doch, einen Tunesier, Araber oder Schwarzafrikaner auf den Fersen abzuschütteln (nie ein Schweizer).

Und also dann habe ich mein kleines Blumen-Herrgöttchen getrunken und bin wieder heim und direkt in das mintblaue, unterwasserblaue offenstehende Innere der Nachbarwohnung hinein getappt, (wo ein Neuer wohnt), es war doch einer der letzten Sommerabende, und die Terassentüre hielt man an einem solchen Abend sperangelweit offen, wenn man nicht gaga war. Und ich lachte. Und es war eine jener Begegnungen, die ich früher über alles liebte …. Begegnungen, die sich aus unverhofftem Stolpern ergeben, aus Uneingeübtem, wenn eine ihren Hausschlüssel verloren hat …. und mit dieser Kunde einem Nachbarn eine kleine Freude aufs Gesicht zaubert …. nichts Hintergründiges, oh, nein, alles spontan experimentiell, denn dann haben wir geredet, eben wie es so kommt, und daraus sich ein Erguss ergibt, an dessen Ende man relativ dumpf und etwas verwirrt in sein eigenes Abteil zurück schleicht.

Und nach diesem Samstag, der es war, war ich immer noch Oben, man stelle sich vor, und setzte mich am nächsten Tag aufs Elektro-Rad, strampelte die Reichenbachstrasse entlang und oben bei der Inneren Enge seitlich der Felder, fiel mein Akku immer raus, und auf jedes Losschweben gegen den Wind kam ein kleines Stopp, aber das hat mir wenig angehabt, ich erreichte das Länggassquartier, wo viele Leute beim Mittagessen auf den Bänken sassen, Studenten in Trainerhosen und Büroleute auf Trab. Da dachte ich, dass ich mir jetzt auch einen Job suche, oben auf der Erde, so lange schien es mir, sei ich jetzt schon Oben gewesen, dabei, he: es waren wohl insgesamt kaum mehr als sieben Tage! Sieben Tage so etwas wie Leben!

Ich googelte die Dargebotene Hand, nein, nicht, damit mir eine Hand gereicht wird, sondern weil ich dachte, da könnte ich arbeiten. Aber der Kurs geht acht Stunden pro Tag und jemand prüft, was man sagt. Also war das nichts für mich, und ich googelte noch etwas, so auch am nächsten Tag, weil, verdammt: ich war allein mit meinen unsagbaren Kräften, da Oben! Ich musste sofort etwas tun dagegen! Also rief ich das Selbsthilfezentrum an und fragte: habt ihr eine Gruppe für Einsame? Ich weiss nicht, ob Thanatos an diesem Tag schon nach mir geatmet hat, ja, ich glaube, er hatte damit angefangen, mich zurück zu atmen in den Hades. Ich fühlte es an diesem seltsamen Druck im Kopf, an den immer zittriger werdenden Gliedern, an den Nerven, die anfingen, auseinander zu brechen wie sprödes Laub.

Aber, weil ich nicht runtergehen wollte in den Hades, trotzte ich mir einen weiteren Tag ab. Ich ging nach Waldau und beschaute mir diese psychiatrischen Lebensplätze, wo ich mehrmals gestorben war und doch gelebt hatte, wie kaum sonst wo. Aber, oben am Waldrand, wo es in den Schmermen geht, und ich immer mit mir selber geredet hatte, hatte ich Lust zu Weinen, laut, einfürallemal, hinab auf die Idylle aus Wiesenbord und Wolkenspiel über dem alten Gebäude, im Hintergrund die Berge, weiter als bis da bin ich nie gekommen.

Ich ging stattdessen ins Pflanzenzentrum und trug eine Pflanze auf dem Arm, weil doch, naja, ich eine Art Wald zwischen meine Wohnung und die Wohung des Nachbarn, ehemaliger Sales Manager, bauen musste, (wie ich plötzlich fand, naja … weil) auf der Terrasse. Ich war nun schon viele Tage oben auf Erden gewandelt, nicht alles war rosig verlaufen …. und schon nach wenigen Metern wurde der Kletterefeu in meinen Armen zentnerschwer, ich wusste, dies war der letzte Tag meiner Schonfrist …. der Taximan aus Sri Lanka holte mich freundlicherweise in der Stampa ab und versuchte mich von einer Trennwandsicht aus Glas zu überzeugen …. ich bat ihn, nicht mehr von diesem Thema zu sprechen.

Und dann, ich weiss nicht mehr …. hatte ich keine Kraft mehr … schlief sechzehn Stunden ….. das war schon der lange Marsch im Schlaf Richtung Thanatos Reich … ein Schlaf, in dem alle toxischen Prozesse im Körper erwachen …das Fieber, das Brennen, das Verfeuern und zu Asche niederbrennen die guten Prozesse …. und am nächsten Tag oder am übernächsten, es war nun bereits jeder wieder derselbe, erkannte ich, dass mich Thanatos wieder eingesogen hatte mit Haut und Haar durch die kleine Luke, die er manchmal für mich geöffnet hatte. So viele, viele male. Und doch immer zum letzten mal.

Tags: No tags

Add a Comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *