3004_Diary_Ghost City u der andere Ort

Wäre immer gern Nachtwächterin in einer Psychiatrie mit jungen Menschen gewesen. Zufälligerweise war ich nur selber Patient. Die meisten Pfleger/innen waren entweder zynisch, abgelöscht oder sadistisch. Selten bekam man auf einer Geschlossenen ein Lächeln. Das Personal glich eher Gefängniswärtern oder Security. Ich hätte diesen Job mit Leidenschaft gemacht. Ich glaube, ich habe einen natürlichen Zugang zu Spinnern gehabt. Ich mochte sie lieber als die Normalen. Viel lieber. Die Normalen haben mich befangen gemacht und neurotisch. Die Kranken frei und vergnügt.

Nichtsdestotrotz darf ich nicht mehr in eine Psychi, nur, um endlich mal wieder unter Menschen zu sein.

Nur die äusserste nervliche Erregung u Angst liess mich die Psychi aufsuchen.

Seltsamerweise erfassen mich keine solchen enormen Druck-und Spannungskrisen mehr, seit ich körperlich so krank bin.

Ich denke oft, dass ich diesen Druck nicht mehr erleben kann, seit meine Existenz verloren ist. Es war eine Form nervlichen Exaltiertseins, Kämpfens und Zitterns über Monate, es war dieser tief sitzende Druck, leben zu müssen, obschon ich es unbedingt wollte….

….es war der Gegendruck, das Paradoxon….die irre Angst an der physischen Erregung und Hochspannung zu sterben, schlicht, weil es unerträglich war (verarbeitet im Circulus V/ Glaubenssatz).

Aber dann, als es soweit war, dass mein Körper nachgab, als die HP-Achse nicht mehr reagierte und die Stresshormone leerlaufen liess, als der Shuttdown kam….habe ich diese Angst nie wieder erzeugen können in meinem Körper.

Es war so, als hätte ich den Wettkampf verloren.

Und als ich heute die alten Plätze der Waldau aufsuchte, war ich auch etwas nostalgisch neben der Ratlosigkeit.

Ich sprach mit mehreren ‚Eingeweihten‘, sie sprachen mit mir.

Dies tat mir wohl, denn hier in Ghost City herrscht eine Art Sondendasein; ein jeder in seinem Studio für sich, leere, schwarze Gänge, in denen man ab u zu das Geräusch eines elektrischen Rollstuhls hört.

Hier in Ghost City scheint eine Art Verwaltungsleben auch die (v.a.) körperlich Handikapierten ereilt zu haben. Die meisten sind angeschlossen an den strikten Tagesplan des angrenzenden Heims. Der Rest arbeitet normal auswärts.

Nur J. sitzt nachmittags füdleblutt in seinem Rollstuhl auf der Terrasse und leert seine drei Bier. Als ich heute an seiner Wohnung vorbeikam, rief er mir fröhlich nach. Da sah ich, dass er so dick ist, dass sein winziges Geschlecht unter dem Firn seines Bauches verdeckt bleibt. Ich weiss nicht, ob er sich keine Unterhose anziehen kann oder will. Es fehlt ihm an einem Bein ein Unterschenkel.

Unbedingt etwas gewinnen müssen, unbedingt das Leben in einer grösstmöglichen Intensität verankern und teilen können mit jemandem oder mehreren, die auch in dieser Intensität leben müssen; aber zu erkennen, dassdie Umwelt „zu“ ist für diesen Äther; dass ich all das alleine leben muss: dies war in etwa ein Teil der Krisen. Dass mir dieses Dasein durch die Hände rann und ich bis auf wenige wie der manische Cetin, Louis Q., etc.abblitzte und hinabgemurkst wurde auf diese mir  unverständliche Ebene der Funktionalität und körperlichen u nervlichen Daseinsselbstverständlichkeit- u -Gefälligkeit.

Es tönt etwas larmoyant, aber die meisten wollten kein Paradies, kein Vibrieren, keinen Rausch…..

….oder dann eben nicht mit mir, oder ev.heimlich…

Immer schlug man auf und kam in der Realität an und wurde gezwungen hinzublicken auf das Zweckmässige, Eindimensionale und an mangelnder Schönheit zuerst traurig zu werden, dann selbst zu verderben.

Ich hab wohl zuviel französische Romanciers gelesen. Ja, es sind die französischen… nicht die deutschen…gut, vielleicht Fontanes Effi und Stine…und Thomas Manns Aschenbach und Zauberberg, natürlich…..hab vergessen, was ich alles las zwischen fünfundzwanzig u fünfunddreissig.


 


 

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