Nach vielen Wochen bekam ich endlich Antwort auf meine Bitte eines Zeitraums der Abklärungen: ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre oder mehr. Die Antwort war ausweichend und zutiefst zermürbend: da sich die Abklärungen immer wieder hinausschieben können, heisst es, sei es nicht möglich meine Frage zu beantworten. Diese Antwort erstaunt mich nun doch, da ja bereits seit über einem Vierteljahr ein internistischer somatischer Bericht meines Hausarztes vorliegt. In diesem Bericht werden die Punkte, warum es für mich keine Lebensperspektive mehr gibt, akribisch festgehalten (es gibt keine Perspektive, weil das physische Funktionsniveau durch die somatische Erkrankung zu tief ist, dauerhaft, um in befriedigender Weise am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dazu gehört es nicht nur, dass ich nicht arbeiten, minimste Freiwilligenarbeit machen kann, sondern auch, dass ich keine stationären Aufenhalte, keine Auszeiten, keine Ferien, keine Selbstfindungskurse u.was es alles gibt, in Anspruch nehmen kann, um einmal diesem Wahnsinns-Löwen-Käfig zu entfliehen. Diese Erkrankung ist über Jahre chronifiziert, mitunter durch falsche Behandlungen/Training/zu strenge stationäre Aufenthalte resp. dadurch entstandene neurologische Schädigungen mit viel Programm/Schlafumkehrung usw., seit sieben Jahren progredierend). Es dürfte einfach sein, einem Kranken, der seit 26 Jahren an Myalgic E. erkrankt ist, seit sieben Jahren zwischen 20 und 24 Stunden liegend verbringt, der nicht erwerben kann, keine Therapien wahrnehmen kann (weil es sie nicht gibt), keine Freizeitmöglichkeiten, der keinen Bekanntenkreis, keine Freunde mehr hat…. einem Menschen in einer solchen Situation die Würde des Lebens freundlicherweise abzusprechen und die Bewerbung gutzuheissen. Es ist mir schleierhaft, was eine solche Antwort bedeutet: Hinausschieben. Heisst das, dass meine Akte mal wieder unter einer Beige andrer Bewerber untergeht, die wichtiger sind als ich und denen man mehr positive Sterberationalität zugesteht? Seit drei Monaten liegt es nun an ihnen, mein psychiatrisches Gutachten zu erstellen, dies, obschon wir keinen Psychiater haben, der mitmacht, schlicht: weil ich aufgrund von Austherapiertheit und Weltausgemusterheit gar keine psychiatrische Betreuung mehr in Anspruch nehmen kann. Anfragen nach einer psychiatrischen Betreuung haben seit bald zehn Jahren den Status des Scheiterns, sobald ich sagte, dass ich zu Exit will, und den Psychiater auch für dieses Unterfangen benötige …..
….dies will und wollte keiner tun. Und also gab es auch für die restlichen Problemchen, die mich noch quälen könnten, keinen Therapeuten. Es tönt crazy, aber es ist so: wer wirklich nichts mehr hat, psychisch und physisch; der schafft es nicht mehr auf einen guten Therapieplatz. Da ist es auch nicht mehr relevant, irgendwelche Liebeskümmerchen abladen zu wollen, weil es sich bei diesen Kümmerchen um das Privatleben eines Austherapierten handelt, der durch die Auflösung des Kümmerchens ja doch nicht wieder wirtschaftlich integrierbar ist.
Realistisch gesehen habe ich horrende Probleme, oder? Aber mit diesen Problemen kann ich illusionslos nirgendwohin, obschon ich sehr gerne für eine kleine Runde ins Kriseninterventionszentrum möchte. Es wäre wohl der einzige Ort, an dem ich so viele gesunde Menschen in Krisen auf einem haufen erblickte, beobachten und ansprechen könnte, der einzige Ort, wo ich für einige Stunden meine Einsamkeit vergessen könnte. Aber Einsamkeit ist kein Aufnahmekriterium für eine psychiatrische Station, auch nicht eine Einsamkeit, die so drückt, das man glaubt, nächstens springen zu müssen. Einsamkeit ist nicht pathologisch. Sie müssen schon etwas Pathologisches an meiner Seele ausmachen, oder ich muss mich so verkaufen, wenn ich wirklich eine kleine Auszeit in der Teufelsküche des KIZ verbringen möchte.
Zurück zum Gutachten:
Also ist es mir schleierhaft, wie die Exitbeauftragten dieses psychiatrische Gutachten mithilfe eines zwanzigjährigen Invalidenerstgutachtens erstellen sollen, ein Gutachten, das ich selbst gelesen habe, so schlecht geschrieben, so viele Fehler und Falschaussagen, dass ich es gerne selbst neu geschrieben hätte. Auch verändert sich die Psyche im Verlaufe so vieler Jahre. Erstdiagnosen müssten neu abgeklärt, eventuell angepasst werden. So wäre es logisch, wenn mir Exit mit einem Psy dienen würde, aber das scheint Exit nicht zu wollen. Lieber wurschteln sie sich offenbar etwas von meinem verjährten Invalidendossier zusammen. Selbstverständlich ist die Diagnose Borderline Persönlichkeitsstörung eine Konstante, die reaktiven atypischen Depressionen und die Anpassungsstörung sind Konstanten. Nur ist mir unklar, was es daran rumzuwursteln gibt. Ich könnte psychiatrisch geradesogut die reinste Seele aufweisen, ohne ein einziges Störfeld; es sollte überhaupt nichts an der eigentlichen Behinderung, die körperlich ist, ändern. Diese körperliche Behinderung ist es, die meinen Leidensdruck aufrechthält, die mich dazu zwang, mich bei der Sterbefirma anzumelden. Warum also verlieren sie jetzt ihre Zeit über meinem psychischen Bericht? Er kann in Bezug auf die Gesamtmalaise angeschaut werden oder aber getrennt davon, er ist im Prinzip nicht wichtig. Zwar haben wir geschrieben, dass meine BPS meine ME negativ beeinflusst, weil ein emotional instabiler, exzessiver und impulsiver Mensch eine Krankheit, bei der man tot daliegen muss, schlechter bewältigt, als ein seelisch ruhiger, schläfriger. Aber wie eine solche Überlappung zu werten ist, weiss ich halt auch nicht. Schlimmstenfalls kommen sie auf die dumme Idee, meine subjektive Einschätzung und also mein Sterbewunsch sei durch die Borderline Personality verzehrt. Die Persönlichkeitsstörung kann bedeuten, dass sie plötzlich wieder Zweifel haben an meiner Zurechnungsfähigkeit, die mein HA mit 100% bezeichnete, sie können denken, dass ich durch die Stimmungslabilität der BPS den physischen Zustand dramatisiere oder ihn sogar falsch einschätze. Ich meine, ich muss nicht sagen, wie gross der Einfluss von psychischem Wohlbefinden auf ein physisches Unwohlbefinden ist. Es ist tatsächlich so, dass es gewisse Konstellationen gäbe, unter denen ich meinen physischen Käfig länger und weiter ertragen würde. Es wäre dann der Blick auf die Symptome ein andrer, nicht die Symptome selbst anders resp weniger.
Ich weiss nicht, wie Exit von mir ein psychiatrisches Gutachten erstellen will und warum. Und ja, ich verstehe nicht, wie sie dieses ohne all die Psychiater machen wollen, die mich in meiner Adoleszenz begleiteten.
„Abklärungen hinausschieben“, das tönt für mich wie „auf unbestimmte Zeit verschieben“. Und ich frage mich, ob ich da von Exit verarscht werde, denn ich hätte den Entscheid gerne in einem festgesetzten ungefähren Rahmen. Dass sie diesen nicht voraussagen können, in keiner Weise, finde ich suspekt.