I.
Zeit, in eine harte Lakritze zu beissen. Es ist der Einunddreissigste. Der Regen tröpfelt oben aufs Dach in das leere Piscine wie Tausende winziger Nadeln. Es ist ruhig und still im Haus, doch ich höre Geräusche. Rattata. Ein bisschen wie Gewehrsalven, ewige Wiederkehr. Dann das Lachen von zwei Stimmen, dunkel. Louis ist da. Sie machen Jagd auf etwas, rasen oder zocken. In letzter Zeit bin ich manchmal nicht sicher, höre ich das wirklich, was ich höre. Regnet es an Weihnachten immer? Oder herrscht dieser tranige, rostgelbe Himmel bloss in meiner Vorstellung? Letzte Weihnachten war es so, da haben die diese Särge gezeigt. Das heisst nein, das waren die vorletzten. Die letzten haben sie diese Gräben gezeigt.
Und nun sind sie immer noch dran. Ich sehe es mit ein paar Mausclicks. Seit ich hier angekommen bin, ziehe ich mir diese Medien rein. Mein Asus scheint irgendwie erleuchtet. Von meinem Asus geht dieses einzige bisschen Wärme aus, hier in Sickhouse. Ich nenne es so. Nicht etwa, weil sie hier alle krank sind. Oder weil sie in ihren barrierefreien, schwarz betonierten Studios versauern. Jene zumindest, die tagsüber vollbeschäftigt werden können, drüben im Heim, tun es nicht. Dieser Ort fährt kein Bus an, er liegt am Arsch der Welt.
Mittlerweile schäme ich mich für mein Kranksein, für den ganzen Rest, der ich noch bin. So ist das. Das ist in mir drin passiert. Weiter nichts. So, wie das da draussen passiert. Mein Daliegen langweilt mich nur noch. Ich lokalisiere eine Art Stress, weiss nicht, wo. Und google Worte und Begriffe. Worte wie das Wort: Beziehungslosigkeit. Worte, wie das Wort: Front. (Front kann einerseits dieses üble Wetter sein, das schwere Luftmassen ineinander schiebt. Oder es ist diese graue Zone, wo sich Zwei gegenüberstehen.
Jetzt zum Beispiel stehen zwei am Fluss, ich habe es gerade gesehen. Auf der einen Seite stehen die einen, auf der andern Seite die andern. Und also stehen sie da, weil ein Fluss zwei Ufer hat. Lapidar gesagt. Wenn ich mal eine Art Liaison mit der Sprache gehabt habe, dann ist sie jetzt brüchig geworden. Ein bisschen wie ungesüsster Tee, den man zu lange rührt. Dies nicht erst, seit Louis nicht mehr mit mir redet. Seit es keine Augen mehr gibt, in die ich blicken kann. Das begann schon mit Pinson. Er, der mich besser mochte, mit geschlossenem Mund. Meine Sehnsucht erweckte nach Sprache, die fliesst: nach einem grösseren Fluss. Einem gemeinsamen.
Ich lausche also und höre. Und stecke den Gehörschutz tiefer in die Labyrinthgänge. Wenn da nur nicht diese Angst wäre. Am Anfang war hier so eine Stille, als wäre Sickhouse unbewohnt. Im Bett auf der Suche nach einer geborgenen Stelle. Und dann Stille. Und dann Warten. Ab und zu ein Betaxtaxi, das einen langgezogenen Wasserstrahl unter sich zerschleudert. Das war auch in einer Altjahrswoche. Mogli wollte immer aufs Dach. Ich folgte ihm zum Lift, hielt den Batch des Schlüssels an den Screen der Türe. Den Batch des zweiten Schlüssel an die zweite Türe. Gänge, lang und schwarz, mit Lichtbändern für die Rollis geziert, wie im Kino. Und auf dem Dach ein Geländer, kniehoch, eiligst aufgestellt. Damit kein Körperbehinderter abstürzt, zwei Meter in die Tiefe.
Projektziele zum Schlussteil: kurze Sätze, kurze Absätze. Quasi wirtschaftlich vorgehen, mich nicht wieder verlieren in Abhandlungen. Die Essenz in der Flüchtigkeit wieder gewinnen. Niemals mehr mich verbohren. Sätze und Aussagen, die mich stolpern machen: streichen. Sentimentalität der Herbstseele im Zaum halten. Vielleicht, wenn möglich, mit Wiederholungen arbeiten. Trotz des Flows: Seichtheit vermeiden. Seichtheit der Emotionen, die durch hirnrissige Launen zustande kommen. Den Text von den Launen abkoppeln.
Ist es möglich ein Schlussteil zu schreiben, wenn der Höhepunkt der Geschichte bereits verflogen ist? Ist es möglich, die Belanglosigkeit zu beschreiben, in die diese autobiografische Fiktion zum Schluss hinein ausblutet?