#pwME_Vakuum-Diary_und_schöpferische Krise

Ich wünsche mir schon länger eine inexplizite Sprache, eine Sprache, mit der ich die klaffende Wunde umgehen kann. Wie soll man mit diesem Unglauben der Anderen und gerade nahen Angehörigen leben, wirklich ein ganzes Leben? Ich kann bestätigen, dass die politische Nichtanerkennung der Erkrankung die Beziehungen tatsächlich immer wieder auf eine harte Probe stellt und mit der Zeit zerstört, und es also eine Beziehung gibt zwischen der Politik und den Institutionen und Menschen, die in diesen tätig sind und meinem persönlichen Leben. Ich hielt mich immer für autonom und ungebunden, für völlig frei und den Strukturen entflogen, aber das ist nicht mehr so, seit ich erkenne, dass die Politik des Neglectes von Myalgischer Encephalomyelitis die persönliche Gestaltung meines Lebens auf einen läppisch winzigen Radius reduziert hat. Mein ganzes Leben ab Zwanzig war ein Leben mit einem physischen Dämon, den Symptomen der Myalgischen Encephalomyelitis, dem ständigen Kollabieren aus pathologischem Mangel an Kraft, uch dieser Dämon, der unsichtbar war, war mein nächster Geselle, mein Partner, den ich niemandem, wirklich niemanden vorstellen konnte als Teil meiner Realität.

Ich meine mit inexplizit, dass ich so Sätze wie: ‚Ich war beim Psy. Er hat nach zehn Minuten gesagt, meine Symptome der ME seien Symptome der Depression und er will mich bei Exit nicht unterstützen, sprich meinen Fachbericht schreiben …‘ dass ich solche Sätze gar nicht mehr sagen muss, weil es schlichtweg unerträglich ist, für mich, sie zu sprechen, lästig, ja, aber auch, wie ich bedauere, sie nichts mit dem zu tun haben, was ich seit einiger Zeit machen wollte: lyrischer schreiben und den Rahmen meiner Themen erweitern, das eigentliche Thema; dieses beschissene Leben mit ME, dieses Gekettetsein transponieren und allmählich vergessen, indem ich, wie im letzten Sommer, assoziativ über Falter, Vorhänge oder Mineralwasserflaschen schreibe.

Ich fühle mich versinken in einem tiefen unartikulierbaren Herbst, der eigentlich ein Frühling wäre …. Türen, die sich letzten Sommer öffneten, indem ich einmal für wenige Wochen dem Hypometabolismus entkam, werden seit diesem Jahr vor mir zugeschlagen,
Ich habe vielleicht versucht, Türen einzurennen, damals, in diesen wenigen Wochen. Obschon ich mich selbst nicht von Aussen sehen kann, hielt ich mich für energetisch und auratisch. Menschen (u. ein Mann) sollten meiner Präsenz erliegen und sich mir anschmiegen wollen, verzweifelt suchte ich ihn darum, sich mit mir an den kostbaren Augenblicken zu erleuchten ….

Es sind Akte der Verzweiflung, ein Leben zu besitzen aus Augenblicken, die im Augenblick selbst zerrinnen, und die grässliche Qual des Bemühens, den Hintergrund anschaulich zu vermitteln.

Man kann nicht einem Angehörigen oder Freund vermitteln, was man weiss und was die Wahrheit über Myalgische Encephalomyelitis ist, wenn dann das Verdikt von einer höheren Stelle kommt, zum Beispiel von einem Psychiater, der, ohne mit einem länger als zehn Minuten zu reden, ohne die Myalgische Encephalomyelitis zu kennen, ohne die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verfolgen usw.: einer Frau ohne Macht diese Realitität, dieses Trauma neu zugesteht, indem er es ihr abspricht. Wegen diesem Trauma, und damit es enden kann, habe ich schliesslich den Psychiater aufgesucht, zur Beurteilung meiner Urteilsfähigkeit, wie dies von Exit gefordert wird. Und, während das Trauma erneut in Flammen aufgeht, während eines Bellabfalls über Wochen von 28 auf 12, wird es gleich instrumentalisiert zugunsten der psychischen Zerrüttung. Angehörigen schwenken ‚rum, weil man sie gelehrt hat, den Instanzen zu glauben.

Es sind Dornen, die durch meine Haut vorstossen, mein Gehirn, meine Körpermitte, um mit den spitzigsten Abschlüssen meine Psyche tatsächlich für immer zu treffen. Dass Menschen einen dann auch noch verurteilen für die Fehler, die gesundheitspolitisch an uns begangen wurden und werden, weil es so viel einfacher ist, das kranke Individuum zu verurteilen, als endlich endlich die Historie der Erkrankung zu studieren und zu begreifen, dass wir Opfer sind von der Gewichtung von Interessen, von Gier …. das Übliche.

Aber tatsächlich kann ich es mittlerweile auch nicht mehr verstehen, warum es nach weiteren fast zehn Jahren Aufklärungsarbeit und auch Forschung immer noch keine Therapie für Myalgische Encephalomyeltitis gibt. Es ist ein dunkler Alptraum, der rückwirkend fast mein ganzes Leben in ein Vakuum packt und die Erinnerungen kappt, die sich auf die Zeit vordem beziehen; die Zeit, in meinem Fall, als Kind. Ich ziehe Vergleiche mit anderen systematischen Zerrüttungen,  die man vereitelte, die Betroffene selbst vereitelten im Nachhinein, weil es zu grausam gewesen wäre, ihr Ausmass, ihren Ursprung aufzubröseln und zu erfassen.

Phantasie ist ein Luxus, die Fähigkeit, sich eine Insel zu spinnen und dort zum Beispiel ein Gedicht zustande zu bringen, das sich losssagt vom Mühlstein und Kreuz, das immer schwerer auf einem lastet und immer tiefere, zombieartigere Spuren hinterlässt.
Aber ich habe diese Phantasie nicht. Ich weiss aktuell keine Ebene, die ich der Realität hinzufügen könnte, ich verstehe nicht, zu träumen oder zu dissozieren. Drogen und Medikamente werden vom Körper nicht vertragen oder gibt es nicht, es bleibt die Regression in alte schwarzweiss Filme und den Aufschub meines Suizides, obschon ich der Logik nach begreife (ich meine, die immer länger dauernde Chronifizierung ist der Ausschlag dieser Logik), dass es vorbei ist.

Seit spooky Symptome mit neuer Kraft aufflammen, habe ich tatsächlich wieder etwas Schiss vor dem natürlichen Tod.

 

 

 

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