Verträumt stand Lydia in der Küche und verzierte das Kuchenblech, während es draussen regnete. Der Regen tropfte von der Dachrinne, rechts vom Küchenfenster, über die Kletterosen, die spät noch blühten—- in die Tonne hinab.
Lydia, verträumt oder in sich gekehrt, wer weiss das, verzierte das Kuchenblech wie mit kühlen Regentropfen, fleissig, unaufhörlich —- Nebeln strichen kaltfingrig ums Haus und drangen durch die Mauern in unsere sommerlosen, ebenerdigen Zimmer, alle waren sie auf einen plastifizierten Flur verteilt, ein bisschen wie in sich gekehrte Geschwister.
Es war Herbst geworden, und der Regen prasselte aufs Dach und schlug wie ein Chor von hunderttausend Kaffeelöffelchen auf die Ziegeln, die tanzten —! Die Dachrinne herab kullerte das Wasser, vorbei an den Kletterrosen, die sich noch überkreuzend pressten, in die vom hartnäckigen Sommerglühen gegerbte Wand.
Da haben sie es geliebt, vielleicht, wer weiss, wie zufällig, stehen zu bleiben, auf dem obersten Treppenabsatz hinab in den Garten, und sich ein paar Worte zu zu raunen, auf diesem Weg links und rechts rum ums Haus sowie durchs Küchenfenster hinein.
Lydia, in der Dämmerung, dies blauseidene Fein und Geheim, stand hinter dem Küchenfenster und hantierte traumverloren in ihrer etwas spartanischen Küche. Belegte das Kuchenblech mit reifen gehälfteten Pflaumen. Und auch eine fröstelnde Blüte, tropfte dann von ihrer kecken, ständig leicht geröteten kleinen Nase hinab, hinein in den Kuchen.
Da ging der Kuchen plötzlich auf zu weissem Schaum, trieb sommergrün, ein Baum, hochstämmig und mit dunklen Kirschen beladen. Und Lydia, zeitlebens eine Mädchengestalt, eine Nymphe des Quells, hievte sich hoch, über eine hohe, anspruchsvolle Leiter, etwas brüchig und filigran; Lydia, die Filigrane, stahl eine Kirsche, unverwüstlich; der einzige, je getätigte Juwelen-Diebstahl in ihrem Leben.
In den vorgewärmten Ofen schob sie dann den Kuchen, stellte den Wärmeregler mit einer Hand wie ein Sonntagssegler auf Zweihundertgrad, und nahm dann aus dem Kühschrank den eigelbfarbenen Plastikbecher. Er war mindestens zwei Generationen alt, gezeichnet von den Spuren des Schwingbesens, der sanft, aber irgendwie auch unergiebig malte die entrahmte, dünnflüssige Sahne schlug zu Rahm, die Entrahmte, eine halbe Stunde oder länger, lang tat sie das, für Hannes, einen in Signalfarben knisternden Mann.
So kam er heim und trat in die Küche und küsste Lydia auf die kühle Nase, als er fragte mit regennassem Blick: Was gibt es zu Essen? Kuchen. Sagte sie. Du hast doch nicht schon gegessen? Überlegte. Rief dann die Kinder, mit leicht ungeduldiger Stimme, rief sie aus ihren in sich gekehrten, immer noch wie frisch tapeziert wirkenden Zimmern, verteilt auf den langen ebenerdigen Gang.
Kinder! Essen! Rief sie. Und zu ihm abgedämpft: Noch nicht! Er hatte seinen schönen braunen Erdfinger bereits in die Sahne getaucht, diesen kleinen Ausreisser, reduziert auf einen vorschnellenden Finger, musste er sich leisten.
Dann war es Abend geworden, und Dunkelheit umschloss wie eine Schlaftütenmütze das Haus, in dem sie, vier Stühle– auf vier Stühle verpflanzt, an einem runden Tisch, ein bisschen schwebten, wie in einem schalldichten Nüsschen durch Raum und Zeit.
Assen mengenmässig eher moderat und schwiegen während des Essens, oft zuerst, dann immer öfter. Bis sie durchgehend schwiegen und dem Regen lauschten, der langsam schwächer wurde, dann hörte er ganz auf.
Still ist es. Als wäre lange niemand daheim gewesen. Und nun husche ich nach draussen und kippe die mit Regenwasser überlaufende Tonne, ich kippe sie mit aller Kraft in die Böschung. Die weinroten Blüten, sie schweben und schwimmen wie Schiffchen obenauf, ziellos, zu leicht für eine Richtung. Unberührte, Samtene, Unversehrte, Unterkühlte!
Erklettere dein nächstes Haus!
(2016/23)