Seit ich meinen Roman beendet habe und einen Band der Kurztexte fertig stelle, sind ein paar fürchterliche Dinge in punkto ME passiert: Mein einjähriger internistischer Exit-Bericht hat seine Gültigkeit verloren, weil mich der Hausarzt geschmissen hat. Es hätte sich ein Psychiater gefunden, der team-intern mit dem HA arbeitet, der den von Exit seit zwei Jahren geforderten psychiatrischen Fachbericht eventuell nachgeliefert hätte, wenn der HA sich dafür eingesetzt hätte. Dieser Psychiater hat indessen sofort verkündet, meine Symptome (Muskelschwäche, Fiebergefühl, Nausea etc.) seien alles Symptome der Depression und dass er nicht für Exit, sondern für das Leben arbeitet.
Über dieses Leben …. das meine … habe ich viel berichtet. Manchmal einseitig, manchmal differenziert. Die Situation mit der unheilbaren Krankheit ME zu leben, 365 Tage Symptome, die man einem nicht ansieht, und aber mit einer psychiatrischen Diagnose berentet zu sein; all das habe ich in meinem Roman: „Die Stimme“ beschrieben. Froh über die Möglichkeit der Fiktion, habe ich durchaus die Realität beschrieben, mithilfe der Fiktion. Zu meinem Schutz, versteht sich. Aber nun, da dieses Buch, die Stimme, zugeschlagen, die Kreativität am Boden ist, bin ich müde ….. grottenmüde…. aus meinen absurden steinigen Erlebnissen in punkto ME literarisches Gold zu schaffen.
Gleichzeitig weiss ich nicht mal mehr, ob ich meine realen Erfahrungen hier weiter schildern mag. Es wäre sicher am besten, sobald wie möglich wieder Fiktion zu schaffen mit der unerträglichen Gestalt der Realität, den sich vertiefenden Traumen …. aber eben: wieso?
Verständlicherweise habe ich mit dem HA gesprochen. Ich habe ihn gefragt: warum er denn nicht mit dem Psy redet und ihn mit in unser Boot holt: 27jährige körperliche Erkrankung, Diagnose von einem Neuroprof 2018; diese Symptome sind nicht Symptome der Depression. Was wir brauchen ist ein Bescheid über die Urteilsfähigkeit der Patientin, die in Gottesnamen- ob richtig oder falsch- vor bald über zwei Jahrzehnten die Diagnose Borderline-Personality-Disorder und Somatisierungsstörung (falsch) bekam. (damals war die Patientin bereits akut ME-krank!)
Diese Aufgabe wollte der HA nicht übernehmen. Es sei mein Bier dem Psy die Sache beizubringen. Wenn aber ein Psy glaubt, die invalidisierenden Symptome seien psychisch, dann könnte das im Endeffekt gut dazu führen, dass Exit eine Begutachtung ablehnt und aber, schlimmer, mir eine weiter Psy-Auflage verordnet.
Der Hausarzt hat, vielleicht, weil ich etwas zu stark insistierte, einfach den Stecker gezogen. Er lässt mich mitten in einem langwierigen Exit-Prozess sitzen, ohne auf die geforderten Fragen zu antworten.
Ist es ein Wunder, wenn jemand, wieder und wieder solchen Erfahrungen unterworfen, bärbeissig wird?
Ich habe in einem Brief an den Arzt meine Enttäuschung, mein Nicht-Verstehenkönnen formuliert, aber ich habe nicht verhehlen können, dass ich seine Aktion für feig halte.
Dies ist auch einer der Menschen und Ärzte, die sich- mit psychosomatischem Zusatz- damit brüsteten- für den Menschen, für die Hoffnung und für das Leben zu sein (Wozu im Zweifelsfall auch der Tod gehört!). Aber genau diese Menschlichkeit kann sich mitunter in ein Schwert verkehren, wenn ein Professioneller keine Lust mehr hat oder überfordert ist. Dann, im Zweifelsfall; kann auch er…. Menschen wegschmeissen.
Und noch die Frechheit besitzen, sich für das Gelernte bei der Patientin zu bedanken.
Natürlich frage ich mich: warum kämpfen, an einer weiteren Front, wo es keinen Sieg für mich geben kann?
Ist es ein Akt der Selbstliebe?
Ist es, weil ich nicht anders kann?
ich habe gefragt, im Brief: gibt es ein Leiden, dass die Umgebung dazu zwingt, nicht richtig hinzusehen? Kann eine Umgebung, gerade aus Professionellen, so schwach sein? Oder sind es blosse Eitelkeiten? Wem tut es denn weh?
Ich erinnere: mein erster Hausarzt hat bis zum Schluss behauptet (ca. 14 Jahre), dass ich in eine Sekte geraten bin: die ME-Sekte.
Manchmal braucht es ein Ja zu einem Nein. Ist dieser Mut in den Zuständigen nicht mehr vorhanden? Können wir als Gesellschaft nicht mehr leben in der Wahrheit mit den Gefallenen und die Demut wiederfinden, zu erkennen, dass es Schmerzen gibt, deren wir nicht mächtig sind? Dass es nicht mehr für alle Menschen Platz hat? Es ist ja nicht allein meine Situation, die mich dies denken und fragen lässt. Seit längeren habe ich den Eindruck, dass gesellschaftlich etwas aus dem Ruder läuft….. dass Prozesse im Gang sind, die auf Kosten des Lebens selbst gehen, die die Menschen nachhaltig verändern, ohne, dass sie sich dessen vielleicht bewusst sind ….
Wenn überall Menschen kaltblütig mit ihresgleichen verfahren, sagt das etwas aus über den Zwangscharaktert, in der solche Handlungen oft geschehen.
Mein Schicksal ist ziemlich knifflig, und mit einem gewissen Narzissmus ausgestattet, bäume ich mich immer noch auf. Aber irgendwie sind das doch alles nur Kapriolen. Ich lebe und fühle mich wertlos- weil es keine Dichter mehr braucht. Und weil das Leben, das Leben als Kranke, die nicht erwerben kann, gestraft wird durch eine fast vollständige strukturelle Ausgrenzung— Warum also kann es mir dann konsequenterweise nicht genommen werden?
Aber das sage ich und denke ich, während unweit namenlose Krieger „verschrottet“ werden, halb so alt. Und auch das passiert einfach ….. es wird hingenommen…..
Ich möchte nocheinmal Literatur machen, aber dazu müsste ich mich irgendwie befreien. Ich müsste den Eindruck haben, dass ein Leben den Zweck der Schönheit und der Nutzlosigkeit haben kann, dass es wichtig und schön ist, sich selbst bis zum Schluss treu zu sein, egoistisch zu sein, auf ehrliche Weise, sich um sich sorgen, um die Kraft zu haben, hin und wieder einen freundlichen Blick nach draussen zu werfen …..
In einer Welt, in der die Menschen immer mehr in einen Überlebensmodus gezwungen werden, wird die Selbstsorge vernachlässigt werden müssen. Die Folge davon sind Kälte und Indifferenz, die jeden treffen.
Cioran hat gefragt: „Sehen die Menschen die Dinge, wie sie wirklich sind? Ich glaube, nein ….“