Lacan’s Reale. Dieses furchtbare Reale, das einen einholen kann, wenn ein exzessiver Moment die Wirklichkeit auflöst wie die Gegenstände und Farben auf einem Gemälde.
Dieses Gemälde, auf das ich schaue, Jahr über Jahr, diese Wirklichkeit, gesehen von Aussen, und die doch Teil meiner Wirklichkeit ist, bis zu diesem Grad an Illusion, wie ich sie innerlich ertrage. Aber auf einmal passiert etwas oder mit anderen Worten: etwas dringt ein, mit einer ungeglaubten Kraft, von irgendwoher. Und von diesem Moment an beginnt diese Wirklichkeit unterzugehen, wie ein Schiff im Nebel.
Es muss viel passieren, viel eindringen, dass dieses Gemälde sich für mich plötzlich verzerrt. Aber es gibt eine Grenze, jenseits davon sich der Bezug zur Realität für mich auflöst, eine Grenze, die ich überschreite durch ein exzessives inneres Erleben, eine Implosion, der ich durch reflektierendes Aufarbeiten nicht mehr beikomme.
Der Entzug von einem Benzodiazepam, das wegen der unterbrochenen Lieferketten für Abhängige wie mich nicht mehr verfügbar ist, quasi von einem Tag zu andern, ist ein solches Erleben.
Mehrmals in meinem Leben habe ich physisch Entgrenzung erlebt, die meine psychische Kompaktheit aufbröselte und mit sich forttrug. Und dann …. dann ….war ich jenseits der schützenden Illusionen, jenseits des Traums — wenn man die Wirklichkeit als Traum benennen will und das Reale als das Erkennen und somit Realität —–
Dieses Reale ist so furchtbar, weil es einen aufbricht, so, wie einen Berg von Innen, weil es einen überwältigt. Und was bedeutet das Anderes, als dass es vorbei ist mit der Selbstkontrolle?
Apropos Berge, die aufbrechen: offenbar haben wir einen Zeitpunkt erreicht, in dem sogar die Berge, Gebilde aus Stein, ihre Stabilität und Kompaktheit verlieren. Wenn wir dieses Geschehen in seinem Ausmass verstehen würden, könnten wir dann eine Begegnung mit dem Realen verzeichnen?
Emil Cioran scheint das Reale auch erfahren zu haben. In seinem wohl einzigen Interview wurde er gefragt: „Est-ce que les gens voient-ils les choses telles qu’elles sont?“ Cioran meinte: „Non, je ne le crois pas. De voire les choses telles qu’elles sont rend la vie presque intolérable. Seulement, il faut etre un monstre pour voir les choses telles qu’elles sont, parcque le monstre est sorti de l’humanité.“ Der Interviewer fragte: „Est-ce que vous etes plus ou moins un monstre?“
Cioran lachte. Zu erkennen, wie die Dinge wirklich sind, sagt er, hat ihn daran gehindert, zu agieren. Die Begegnung mit dem furchtbaren Realen kann also vielleicht auch eine Lähmung oder aber eine Leichtigkeit mit sich bringen.
Cioran ist für mich das Gegenteil von einem Monster. Viel mehr liegt das Monströse in der konstanten Verkennung all der Verdrängungsmechanismen.
Sylvia Plaths Dämonen waren furchtbar real, sie waren so gewaltig, dass sie bereits nach der ersten Krise andeutete, die Erfahrung vermutlich kein weiteres Mal durchleben zu können.
Seit Lacan den Begriff des Realen erklärt hat, und ich eine Bezeichnung habe für eine Art unsichtbare Lebensbegleitung, verstehe ich nicht nur besser, warum Sylvia, deren Leben mit Dreissig vielversprechend war, enden musste. Ich verstehe auch, warum das Reale mich immer wieder dermassen unter Druck gesetzt hat; weil es absolut unspeakable ist. Weil es da ist, aber in keiner Form in ein gesellschaftliches menschliches Leben integriert wird. Weil es geleugnet wird. Abgemurkst. Weil die, die davon heimgesucht werden, vollkommen allein sind in ihrer Erschütterung.
Ich bin nicht sicher, woher das Reale kommt. Es stammt für mich weniger aus dem Unbewussten. Eher ist es eine Art Komet ….