Von meinen 47 Geburtsjahren erinnere ich mich an einen Geburtstag; da war ich happy! Ich war Vierundzwanzig und ging mit Roli, meinem damaligen Liebesparnter, Freund, Freundin, bester Kumpel, Mutter (er war mir ja alles!) in der Dampfzentrale essen. Es war warm, aussergewöhnlich frühlingshaft. Ich trug das mintfarbene oder soll ich sagen türkisgrüne Wollkleid, zusammengehalten in runden Wipfeln, darunter natürlich Wollstrümpfe und zwei Wollpullis, denn ich war damals ja ein Spränzchen ….
Ich weiss nicht, ob es das Kleid ist ( ein Siebziger Jahre Wollkleid von meiner Mutter), dass ich mich an diesen Geburtstag erinnere oder einfach dieser kurze Moment meines Lebens (etwa drei Monate), in denen die Voraussetzungen für mein Leben eventuell zu stimmen schienen…. natürlich was die Schriftstellerei betraf, so war das nichts als Blenderei und Stuss, mit dem ich mich selber blendete ….
…. aber was gibt es Wichtigeres, als die Hoffnung und Zuversicht, dass man etwas tun kann, das einem Sinn gibt und von dem man ausserdem denkt, man könne damit auch noch was erreichen? Solange man glaubt, kann es doch auch ein Irrglauben sein, oder? Auch das Arbeitsleben und der ursprüngliche Kompromiss aus Arbeiten im Buchhandel und daneben Schreiben hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Illusion entpuppt ….
Der Körper war fragil und ausser, wenn ich schrieb oder Roli mich fütterte, tagsüber im Dauerstress. Aber Nachts ging ich tanzen und stieg in ungeahnte Höhen auf, von denen ich nie verstand, wie sie jemals …. am nächsten Tag … für so viele Tage vernichtet waren …..
Einmal dann machte ich den Fehler und habe das mintige Seventies-Kleid von Mutter mit der normalen Kochwäsche gewaschen. Und was da raus kam ähnelte einem Puppenkleidchen, so hart wie gedörrtes Brot. Das war’s dann! Ich ärgerte mich ein wenig, wusste, ich hatte da etwas falsch gemacht. Oft dachte ich noch zurück an dieses bauschige Mini-Wollkleid, das es in seiner erdigen Echtheit heute nicht mehr gibt.
Aber an all die andern Geburtstage meines Lebens habe ich keine Erinnerung. Nur; dass ich nie mehr happy war. Weil ich meine Ziele jedes Jahr nicht erreicht hatte, und ich mir dies jedes Jahr von Neuem vorhalten musste.
Heute bin ich auch schön angezogen: ich trage Brauntöne, die meine traklsche Herzensstimmung umschmeicheln: ein knöchellanger Rock im Fifties-Style aus rostbraunem Webestoff mit einer Art blumigem Lochmuster und seidigem Unterrock. Ein dunkelbrauner, marronenbrauner Sweater und mein gold umfasstes Tigerauge-Herz am Hals. An den Ohren trage ich grosse Creolen mit baumelnden Sternverschlüssen. Diese Reifen geben meinem reifen edgy Look den Bruch, da sie voll aus meiner Jugend-Trashi-Zeit stammen. Die Haare habe ich zu zwei Knöpfen auf dem Hinterkopf zusammengeschnürt, da sie offen die traklsche Trauer in schlaffer Mattheit zu stark wiedergeben. Ich bin so unsäglich müde von diesen kleinen 47 Jahren, gerade. Aber auf diese Müdigkeit habe ich noch nie was gegeben. Es geht um eine andere Kraft, eine Kraft, mit der ich mir selbst Leben in Augenblicken verheissen kann … ist es noch möglich?
Es ist warm genug, um barfuss zu gehen. Ich habe zwei Kaffees getrunken und je ein Gedicht von Trakl, Camus, Dickinson und Parker gelesen, draussen am vergilbten Terrassentisch.
Meine Nachbarin S. goss ihre Blumen und fragte, ob ich was brauche, sie gehe einkaufen. Ich sagte: Ja. Gerne ein Brot und ein Bund Bananen.
(22.3.2022)