Die Krokusse stecken ihre hellgelben Köpfe zusammen, brechen dann auf.
Noch weht die Bise über die ausgetrockneten Vorjahrsgräser.
Eine frostige Dämmerung senkt sich und macht, dass ich etwas schneller
laufe. Ich hab Tim abgehängt, er trippelt schon seit der U-Bahn seinen
Rollstuhl rückwärts den Berg hoch. Ich sehe ihn immer weiter zurückfallen,
dann wieder nahen, Sysiphos-gleich.
Oben angekommen, wieder eine Pause, zumindest für mich,
die Berge weit am Horizont, glühen noch, diese ewigen Überflieger.
Die Berge, das Bleibende, denke ich.
Zuhause angekommen, mache ich Kaffee und stelle die Tasse so vor Tim hin,
dass er sie greifen kann. Auf meinem Balkontischchen hat der Winter die Farbe
vom Holz gelöst. Rissige Späne, die ich abbreche und zerbrösle zwischen meinen Fingern.
Auf einmal sehe ich noch mehr Krokusse. Sie spriessen aus der grauen
Erde und sogar zwischen den Ritzen meiner Terassensteine leuchtet eine hervor.
Nach dem Kaffee gehe ich in den Keller und hole das E-Bike. Tim fährt mit dem Rollstuhl
heran, löst das Ventil und pumpt den platten Reifen mit dem linken Arm, solange,
bis er prall ist. Er war mal Rechtshändler, doch dann, nach dem Unfall, musste er umlernen.
Es geht schon vieles, wenn man dazu gezwungen ist?! Tim mach wirklich alles, alles
mit einer einzigen Hand!
Ich setze mich auf das Rad und fahre in den Wald. Dort, an einer Stelle,
wo tagsüber die Kinder vom Hort spielen, hängt an einem Baum ein farbiger Traumfänger.
Die Kinder haben eine Art Krippe gemacht aus geschichteten Holzästen, in der
Mitte eine Feuerstelle. „Bitte zerstör mich nicht!“, heisst es auf einem Zettel,
gepinnt an einen Kletterbaum. „Dies ist unser Refugium, hier spielen wir!“
Das Licht der untergehenden Sonne verfängt sich in den feinen Wachtelfedern,
den goldenen Fäden und Haselnüssen des Traumfängers. Ich möchte keine Alpträume mehr.
Ich möchte, dass du die Alpträume fängst und die Träume frei lässt.
Die Idylle trügt nicht. Sie tut nur immer wieder furchtbar weh.
(7.3.22)