Nachwort 2
Als ich mit diesem Roman begann, wusste ich nichts über ihn. Ich wollte einfach schreiben und schauen, wohin es mich führt. Ich ging von meinen eigenen Wahrnehmungen und meiner eigenen Biografie aus, die seltsamerweise keine Form annahm.
So schrieb ich viele Jahre im Kreis.
Dann, mit den Jahren, stellte ich fest, dass ich nicht mehr nur schrieb, um zu Schreiben, als Poet Maudit, als jemand, der durch Schreiben werden möchte, Gestalt annehmen, Persönlichkeit, sozusagen. Auf einmal war da ein handfester Tatbestand, zwar, dass mein bisher im Sand verlaufendes, von vielen Symptomen gebremstes Leben in einer realen physischen Krankheit gründet, und nicht einfach, wie sie jahrzehntelang behauptet hatten, in meiner verschrobenen Persönlichkeit! So hatte ich nun sogar ein literarisches Thema, einen Stoff (aus dem keine Träume gemacht sind) und stellte fest: dass viele andere Menschen, da draussen, unsichtbar an dieser Krankheit leiden. Dass diese Krankheit ein Politikum ist!
Nun bekam meine zwecklose, fiktionalisierte Autobiografie, die ich nur der Dichtung zuliebe schreiben wollte, ungewollt eine Prägung. Ich konnte es nicht verhindern, so sehr wurde meine Lebensrealität mit den Jahren von den Beschwerden beherrscht! Aber und trotzdem: diese Prägung, hier, in meinem Buch, hat mir nicht ganz gepasst!
Ich bin kein Aushängeschild und Musterexempel für diese Erkrankung! Solange wir keinen Biomarker haben und immer noch gegen Vorurteile und Psychopathologisierung kämpfen, muss ich genau sein: Es ist ein Skandal, dass Millionen von Menschen seit vielen Jahrzehnten mit psychiatrischen Diagnosen ins Aus befördert werden, obschon sie eigentlich die Kriterien für die körperliche Erkrankung ME erfüllen. Kriterien, die bis zum heutigen Tag, nicht richtig und genau angewendet werden. Wenn ich also eine Geschichte erzähle, in der es eine Überlappung von physischer und psychischer Erkrankung geben könnte, dann muss ich das deutlich erwähnen: dies ist meine Geschichte, eine individuelle Geschichte! Dass ich vielleicht eine psychiatrische Überlappung habe, ändert aber nichts an der Tatsache, dass dies eher selten ist, und dass es bei allen körperlichen Krankheiten eine Überlappung mit psychiatrischen geben kann. Nur: wenn ein Mensch mit einer psychischen Diagnose eine Krebserkrankung oder einer M.S. entwickelt, vereitelt man ihm dann die genauen Untersuchungen, weil er ja psychisch krank ist?
Und das ist wiederum meine Geschichte! Die Myalgische Encephalomyelitis war längst bekannt, seit 1969 bei der Weltgesundheitsorganisation abgelegt, ich aber wurde von Internisten jahrelang nicht angehört, weil meine Erstdiagnose ein BPS war? Dass ich dann für mich gekämpft habe und mit den wissenschaftlichen Unterlagen vortrabte, wurde mir gleich wieder als BPS gedeutet! Welcher arme Patient muss sich schon selber in eine komplexe physische Erkrankung einarbeiten, damit sie damit zu einem Neurologen oder Immunologen gehen kann, der dann, Absurdität Nummer Zwei, so gut wie nichts von der Krankheit gehört hat, da sie nicht an der Uni gelehrt wird, und wenn überhaupt in einen Topf mit unspezifischer Fatigue geworfen wird?!
Die Erfahrung, dass einem niemand glaubt, ist eine Traumatische. Zufälligerweise handelt meine Geschichte nicht nur in diesem Punkt von einer Frau, die nicht ernst genommen wird …. Ja, von klein auf beschreibe ich ein Kind, das zuerst wegen seiner Andersheit, später wegen seiner psychischen und schliesslich wegen eines körperlichen Leidens niemals ernst genommen wird. Da wäre noch das andere Geschlecht, bei dem die junge Frau verzweifelt Gefallen sucht. Sie findet etwas Beachtung, solange sie mit dem andern Geschlecht zusammen über die Witze, die sie über sie machen, unter der Gürtellinie, lacht. Sie nimmt dies als Kompliment.
Aber zurück zur körperlichen (und auch psychischen) Erkrankung: die Geschichte als eine Geschichte von Diagnosen zu lesen, hiesse: nicht richtig, hiesse: auf ungenügend Ebenen lesen.
Weil ich schreiben musste habe ich andere, wichtigere Chancen verpasst, zum Beispiel: irgendwo, da draussen, eine soziale Nische zu finden, eine „Heimat“, die weniger einsam macht und verlottert, als das Schreiben für die Schublade.
Aber die Crux ist: so ein „Glaubenssatz“ kann vielleicht vorher dagewesen sein, bevor man sein eigenes Leben wirklich schreiben kann! Der Akt des Schreibens war mir in genau diesen Jahren, nämlich, in denen ich für meine Integration hätte sorgen müssen, das Wichtigste. So sass ich über meinem Rollfusstischchen und transformierte laufend das nicht mal profane, aber nicht wirklich stattfindende Leben von mir in aussagelose Romananfänge! Ein Schnippselmeer entstand! Ein Curriculum Absurdum! Doch dieser Akt hiess für mich eben: Gelebtes Dichten! Eine Form von Malochen und mich Berauschen zugleich! Da liegt der Hund begraben ….
Heute halte ich das auch für einen Selbstbetrug.
(Marion Jeanne Suter, Autodidakt und Poet Maudit, den 11.3. 2022/19.1.23)