Nachwort zum „Glaubenssatz“
Als ich mit diesem Roman begann, wusste ich nichts über ihn. Alles, was ich wusste, war, dass ich schreiben wollte. Schreiben, das war für mich der Ort der Vision und der Schönheit! Ein angstfreier Raum, zudem. Dichten, das bedeutete für mich: umwandeln, verschönern, Konstruktivsein! Das war mein Glaubenssatz!
Dann, mit den Jahren, erkannte ich allmählich, dass ich nicht mehr nur schrieb, um zu Schreiben, als Poet Maudit, als werdendes Mich selbst, sozusagen. Nach vielen Jahren wusste ich, dass meine Anpassungsstörungen (des Körpers in erster Linie) in einer realen physischen Krankheit gründen, und nicht einfach, wie sie sagten, in meiner verschrobenen Persönlichkeit! So hatte ich nun also ein literarisches Thema, einen Stoff (aus dem keine Träume gemacht sind) und stellte fest: dass viele andere Menschen, da draussen, unsichtbar an dieser Krankheit leiden. Dass diese Krankheit ein Politikum ist!
Nun bekam meine zwecklose, fiktionalisierte Biografie, die ich nur der Dichtung zuliebe schreiben wollte, ungewollt eine Prägung. Ich konnte es nicht verhindern, so sehr wurde meine Lebensrealität mit den Jahren von den Beschwerden beherrscht! Die Beschwerden füllten meinen Alltag, wurden zu meiner Realität, während das Leben mehr und mehr schwand.
Aber und trotzdem: diese Prägung, hier, meine schlussendliche Erkrankung, in meinem Buch, hat mir nicht ganz gepasst!
Dies ist nämlich keine Geschichte über eine unerkannte Erkrankung, auf jeden Fall nicht nur! Ich bin kein Aushängeschild und Musterexempel für ME/CFS! Das Gegenteil ist der Fall! Dass ich schliesslich eine Geschichte über das Leben einer Frau mit einer verkannten, unentdeckten und schliesslich unbehandelten Myalgischen Encephalomyelitis erzählte, hat sich nun halt so ergeben.
Der Knackpunkt war dabei meine eigene Psychopathologisierung (durch mich!) und die Kollision eines psychischen Stigmas mit einer rein körperlichen Erkrankung. Ich habe versucht, so gut es geht, zu erklären, dass die Kausalität zwischen psychisch und physisch bei mir nicht zu belegen noch ganz von der Hand zu weisen ist. Aber, weil ich dem „Vorwurf“ ausgesetzt war, über 18 Jahre meines Lebens, das meine Erkrankung psychosomatisch ist, habe ich auch versucht, implizit, versteckt, die Frage zu stellen: ob ein Immunsystem durch psychischen Hochstress in der Kindheit und Jugend einen Totalzusammenbruch erleiden kann, und es also durchaus eine Verbindung gibt zwischen Befindlichkeit und Fakt? (Resp. psychische „Qualia“ und Materialisierung?)
Aber darum geht es eben auch wiederum nicht im „Glaubenssatz“. Genaugenommen geht es um so etwas Antiquiertes wie die Lebenskunst. Ich wollte einfach mit Nichts als meinen eigenen Wahrnehmungen und Gefühlen, ohne Stoff und ohne eigentliche Handlung, meine Biografie entdecken, zumal, ich irgendwie nie auf die Welt kam, drehte ich es wie ich wollte, nur mein Buch hätte mich auf die Welt gebracht … so mein Glaubenssatz ….
Ich wollte sehen, ob ich aus Wenigem etwas Schönes und halbwegs Spannendes machen kann!
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es meine Biografie geben könnte, ohne diesen unmöglichen und absurden Schreibversuch, in den ich mich über Jahre hinein verbiss und über dem ich in den jungen Jahren andere, vielleicht wichtigere Chancen verpasste; irgendwo, da draussen, eine soziale Nische zu finden, eine „Heimat“, die weniger einsam macht und aufzehrt als das Schreiben für die Schublade.
Aber so ein „Glaubenssatz“ kann vielleicht vorher dagewesen sein, bevor man sein eigenes Leben wirklich schreiben kann! Der Akt des Schreibens war mir in genau diesen Jahren, nämlich, in denen ich für meine berufliche Integration hätte sorgen müssen, das Wichtigste. Das war zu einem Zeitpunkt, als ich schon erfahren hatte, wie vulnerabel das physische Leben ist! So sass ich über meinem Rollfusstischchen und transformierte laufend das nicht mal profane, aber nichtstattfindende Leben von mir in aussagelose Romananfänge! Ein Schnippselmeer entstand! Ein Curriculum Absurdum! Doch dieser Akt hiess für mich eben: Gelebtes Dichten! Eine Form von Malochen und mich Berauschen zugleich! Irgendwie so.
Kann sein, dies war auch nur ein Selbstbetrug. Aber wer kann es ohne?
(Marion Jeanne Suter, Autodidakt und Poet Maudit, den 11.3. 2022/19.1.23)