‚…Er suchte nach dem, «was Raum hat, auch ohne Sprache». Doch die «auffressende» Geschichte hatte ihm umgekehrt eine Sprache hinterlassen, für die es keinen Raum mehr gab. In der Nacht vom 19. zum 20. April 1970 muss sich Paul Celan nahe beim Pont Mirabeau – vom Rand des Verstummens – in die Seine gestürzt haben. ‚ (NZZ-Feuillton)
Wie schnell Vergessen geht, erkennt man auch daran, wie Paul Tselans Werk in der Zeit der Nachkriegsliteratur aufgenommen wurde. Die Gruppe 47 buhte ihn aus, 1970, fünfundzwanzig Jahre nach dem Genozid an den Juden war man offenbar nicht mehr aufnahmebereit für Paul Celans Lyrik.
Wie hätte Paul Celan einen anderen Ton anschlagen sollen und den nie verstummenden Schmerz aus seinen Gedichten wegwischen, so, als wäre Schreiben eine Art Strömung wie Mode?!
Paul Tselan Gebutsort im rumänischen Czernowitz wurde eingenommen, sein Volk (6 Mio.) wurde ausgelöscht, seine Eltern wurden deportiert und ermordert …. und da war man nicht bereit, ihm die um die „Todesfuge“ kreisenden Gedichte bis ans Ende seines Lebens würdigend abzunehmen?!
Von 1945 bis 1970; das sind 25 Jahre! Man stelle sich vor …… nicht einmal ein Viertel Jahrhundert kann der läppische Hüpfer Mensch gedenken.
‚Die Silbe Schmerz‘
Es gab sich Dir in die Hand:
ein Du, todlos,
an dem alles Ich zu sich kam. Es fuhren
wortfreie Stimmen rings, Leerformen, alles
ging in sie ein, gemischt
und entmischt
und wieder
gemischt.
Und Zahlen waren
mitverwoben in das
Unzählbare. Eins und Tausend und was
davor und dahinter
grösser war als es selbst, kleiner, aus-
gereift und
rück- und fort-
verwandelt in
keimendes Niemals.
Vergessenes griff
nach Zu-Vergessendem, Erdteile, Herzteile
schwammen,
sanken und schwammen. Kolumbus,
die Zeit-
lose im Aug, die Mutter-
Blume,
mordete Masten und Segel. Alles fuhr aus,
frei,
entdeckerisch,
blühte die Windrose ab, blätterte
ab, ein Weltmeer
blühte zuhauf und zutag, im Schwarzlicht
der Wildsteuerstriche. In Särgen,
Urnen, Kanopen
erwachten die Kindlein
Jaspis, Achat, Amethyst _ Völker,
Stämme und Sippen, ein blindes
Es sei
knüpfte sich in
die schlangenköpfigen Frei-
Taue-: ein
Knoten
(und Wider- und Gegen- und Aber- und Zwillings- und Tau-
sendknoten), an dem
die fastnachtsäugige Brut
der Mardersterne im Abgrund
buch-, buch-, buch-
stabierte.‘