Nicht, um mich acht Jahre länger ausdrücken zu können. Nicht, um mich acht Jahre länger auf den Meter zu konzentrieren und zu disziplinieren, den ich bei konsequentem stundenlangem Liegen weiter gehen kann. Nur um acht Jahre länger Frau zu sein. Ich bin, wie ich feststelle, nicht vorbereitet auf das Alter. Ich war so mit Kranksein beschäftigt, so absorbiert durch diese massive Funktionseinbusse, in die ich Ende meiner Dreissiger schlitterte. Jedesmal, wenn ich zu den Plätzen und Orten pilgere, die dieselben sind, zumindest äusserlich, fühle ich meinen unerklärlichen Rückstand auf alles – auch meinen Rückstand auf meine Weiblichkeit- Mir schwindelt beim Gedanke an all die verlorene Zeit, die ich nicht nutzen konnte, weil ich im Bett lag, auf dem Sofa, dem Boden, im Bad usw. Gleichzeitig empfinde ich diese Zeit, als wären die Jahre auf ein paar Momente zusammen gerafft— Für Hans Castorp vergingen die ersten drei Tage auf dem Zauberberg wie drei Wochen. Schliesslich wurden sieben Jahre aus seinem Aufenthalt, die Zeit war verflogen.
Wenn nichts mehr passiert, verlangsamt sich das Empfinden für die Zeit. Es gibt einen toten Punkt, einen Stillstand. Und plötzlich scheint sich die Zeit, deren Merkmal die Ungewissheit ist, bei dieser Erkrankung, aufzulösen. Bei dieser Erkrankung wäre es nicht einmal passend gewesen, das Leben als ein Provisorium zu bezeichnen. Es wird ja nicht für einen Zeitpunkt vorgesorgt, der noch kommt, es gibt kein Später. Ich habe das Leben unterlassen, weil der Körper die nötige Energie dazu nicht aufbrachte. Diese Unterlassenheit hat sich summiert. Mir schwindelt, als hätte ich gegeudet, als hätte ich gesündigt …. vielleicht, weil ich trotzdem da war. Sogar alt geworden bin mit der elenden Sache. Und sogar trotzdem sterben muss. Mein Leben war und ist wie etwas, das in einem Safe oder edlen Portemonnaie steckt. Ich kann es nicht öffnen, aber habe es ständig vor Augen gehabt. Und was man begehrt und nicht haben kann, kann man schlecht wegwerfen.
Das (Sterben) finde ich weniger schlimm, als das Altsein. Das Sterben habe ich schon bald, eigentlich immer …. mit einberechnet. Wegen der Brüchigkeit und weil es keinen Halt gab in diesem Körper, habe ich mich schon als junge Frau nach der Fülle und dem Reichtum umgesehen. Es gab sogar einmal eine Zeit, da fand ich: Ich bin reich! (Aber natürlich hatte ich diesen Reichtum längst verloren, und reich war ich im Mutterbauch, reich war ich bei Geburt). Neinnein, ich fühle mich nicht um mein Menschsein betrogen, nicht einmal so sehr um all die Tausenden taufrischen Morgen, die ich verschlief. Nur um mein Frausein. Lach. Ich habe die Scham immer an mir getragen, in mir und an mir, da ich eine Frau bin, aber erst jetzt verstehe ich die Doppeldeutigkeit dieses Wortes. Die quälende Bedeutung.
Mein Fokus ist gefangen von Natur und ontologisch unverrückbarem Zeugs, wie damals, als Elfjährige, als ich obsessiv über das Universum ohne Gott nachgrübelte. Zweifellos, darüber nachzugrübeln, was eine Frau am Ende ihrer Fruchtbarkeit sein soll und die lange lange Zeit danach, und was eine Menschheit ist ohne Gott, ist nicht ganz dasselbe. Wie kann es sein, dass ich jetzt, nach so vielen Jahren des Greisendaseins und einer gewissen zähneknirschenden Bescheidenheit, immer noch doch nur oder wieder Hedonist bin?! Die Demut kommt mir abhanden. Aber man muss auch sagen, dass sie mit dem Niedergang des Christentums so ziemlich unterging, hier. In der Krankheit steckt auch nicht mehr ein einziger edler Tropfen an Respektabilität. Und vielleicht gibt es punkto Anmassungen eine Verbindung.
Ich wäre gerne eine Schlange. Dann würde ich mich jetzt solange häuten, bis etwas anderes zum Vorschein kommt! Vielleicht würde ich mich um den Hals meines Mörders schlängeln, den es nicht gibt.