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Lockdown

Ich weiss nicht, wie lange dieser Mensch geschlafen hat, wie viele Monate und Jahre vergangen sind, aber als er neulich die Augen öffnete und wir uns gleichzeitig anschauten, sahen wir gegenseitig den Schrecken in unseren Augen. Das war ein besonderer Moment. Es war uns beiden klar, dass wir nicht davon laufen konnten, keiner vor dem andern. Aber ich wusste auch, dass der Mensch mich töten konnte, zumindest hatte er das Zeug dazu. Also hielt ich mich reglos und bewegte mich nicht, auch nicht, als ich fühlte, wie ein Haushaltspapier unter mir hindurchgezogen wurde, und eine Hand mich heftig abschüttelte.

Im Rasen lag noch etwas Schnee von der Nacht, der Boden war glitschig und aufgeweicht. Tatsächlich fing ich an, zu laufen, aber ich spürte, dass etwas mit mir nicht stimmte: mein hinterer Teil fühlte sich eiskalt an. Irgendwie hatte ich keine Kontrolle über ihn, während ich gleichzeitig nicht vorwärts kam. Eins war klar: das grosse schwarze Monster hatte mich verletzt, und mein Reflex war der: ich wollte mich so tief, wie nur möglich in die Erde eingraben. Ich benötigte unbedingt dieses warme, dunkle Loch und schabte, schabte und schabte, stundenlang. Eisige Klumpen fielen schon auf mich nieder, ein erster, ein zweiter, Hagel, der mich verklumpte. Aber ich liess mich davon nicht abhalten, ich grub mein Loch weiter, nun beladen, schliesslich ging es nur um eins: ich wollte kein Grab über der Erde, ich wollte nicht, dass das Monster noch einmal mit mir spielte, und wieder nicht bis zum Ende.

Aber dann, ich weiss nicht, wie viele Stunden vergangen waren, kam es anders: wieder spürte ich das Haushaltspapier, und gleich darauf, wie man mich weg trug zwischen Erde und Himmel, hinein in einen künstlich beheizten, kleinen, stickigen Raum. Gebettet in in eine Milchtüte, unterlegt mit Moos, Löwenzahn und Käse, offenbar. Ich schnupperte und suchte die Sonne, den Schnee, die Erde, aber da war nur eine viereckige Lampe. Eine Türe, die angelehnt war, ging wieder und wieder auf, in immer kürzeren Abständen sah ich die Silhouette des Menschen, ja, es war nicht das Monster, das mich ständig aufsuchte. Duft, Form und Stimme waren anders. Auch die Art, wie der Mensch dann neben mir kauerte und dabei mich anschaute. Es war kein fixierender Blick, kein Umzingeln. Der Mensch hatte einen Kopf, ja schon, und darin Augen. Aber der Strahl dieser Augen berührte mich seltsam flatternd, ernst, fast ängstlich. Befremdung auch, ein Ausdruck, den ich nicht recht verstand, erkannte ich darin. Ich wünschte mir, der Mensch wäre weggegangen, mehr noch, ich bedauerte, hatte er mich in meiner glitschigen Mulde nicht liegen lassen.

Ich wusste, ich würde sterben, ich brauchte meine Ruhe. Aber nun sah ich, wie der Mensch, Kissen und Bettdecke in den kleinen stickigen Raum trug und sich ein Nest auf dem Boden ausbreitete, für sich selbst, unter einem Wasserlauf, der ewig tropfte. Ich fühlte, wie Teile an mir tauten und prickelten, wie die Erstarrung zaghaft von mir wich. Ich hatte Schmerzen an mir und strich mir mit den Fingern mehrmals über das Gesicht, damit sie weggingen. Aber in dem Moment schrie der Mensch leise auf. Ich sah, wie sich mir sein Arm mit einem Stück Käse näherte. Ich ergriff ihn und hielt es wie eine Trophäe, worauf der Mensch wieder aufschrie, überrascht vielleicht, aber auch erschrocken.

„Wie winzig du bist! Sicher nicht grösser als eine grosse Sun-Queen-Dattel! Du fährst dir über die Wangen, das sieht so … so menschlich aus!“ Und weiter: „Nimm ruhig von diesem Wasser im Untersatz, komm! Nein, ich will dich nicht zwingen, weißt du! Ich weiss nur nicht, was ich mit dir anfangen soll! Was möchtest du denn?“

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