Kaum hatte sie das Geschäft betreten, lief ihr eine Hand vorab, zog da einen losen Bändel aus einer Schleife heraus, befühlte dort eine Naht von Innen. Als sie bei den T-Shirts ankam, die akkurat geschichtete Türme bildeten, blieb sie lange unschlüssig stehen.
Die T-Shirts ähnelten sich in Verarbeitung und Schnitt und waren, bis auf jene, die den Namen des Geschäfts auf der Brust trugen, einfarbig. Unter dem Strich, sie sahen alle gleich aus. Und doch versuchte jedes T-Shirt ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und vom andern, nebenan, verzweifelt abzuziehen. Ununterschieden entschieden sandten sie in gestaffelten, geschichteten Werbepaketen ihre Versprechen aus, ab Band: ‚Wähle mich! Wähle mich! Ich bin zwar nur ein T-Shirt, und mein Herz ist nur aus Polyester! Aber ich bring dir dieses ganz persönliche, nur auf dich zugeschnittene Glück! Ich leine mich an dich, ich poliere dein verwaschenes vom vielen Waschen, Auslegen, Umfalten, Bügeln, Schrumpfen, Ausdehnen ausgeleiertes Ich …!
Natürlich kannst du auch jemand anderes wählen! Das da unter mir, über mir oder neben mir, oder falls ich schon weg bin, weil mich dir jemand Schnelleres wegschnappt hat: mein Lager-Ich …! Das stört mich nicht! Ich bin ja nur ein unkompliziertes, schnell unter einer Maschine hindurch gezogenes Stück Stoff und Fabrikat! Bin mir selber fremd! Und so ist es mir egal, wer mich ergattert, da ich meine Träger nicht unterscheide, sondern nur kleide. Es sei denn, du, die du immerhin etwas verkörperst, hauchst mir Leben ein … ‚
Sie hatte mittlerweile das oberste T-Shirt von einer Turmschicht abgetrennt, hielt es sich über den Oberkörper gespannt und ging, auf der Suche nach einer Umkleidekabine, durch den schlauchförmigen Raum.
Er hatte übrigens etwas von einer heiligen Katakombe. Gedämpftes Licht herrschte, schmalzige Musik, die einen bis aufs Blut reizte und an Empathie aushöhlte, rieselte, ein Ventilator, der auch den gezüchteten Torso des jüngsten Jenner-Sprösslings belüftete, auf einem Plakat an der Wand … er tourte im Prinzip um sich selbst.
In einem grossen Plastik vergoldeten Spiegel, der ihr den Weg abschnitt, blieb sie stehen und … erkannte sich nicht! Dies, obwohl sie doch eine alt Geübte war im Sich-Im-Spiegel-Anschauen-Prüfen-Beurteilen-Erkennen. Das Blut stieg ihr zu Kopf.
‚Ich kann dich nicht wählen, dich nicht nehmen! Du armseliger Bittsteller, nackter, verzweifelter Bettler! Ich fühle mich gerade so schlecht, so hingeworfen, so austauschbar, so billig! Ja so überflüssig und billig! Entzwei gezerrt, gestutzt, unter einem Preissturz begraben! Wie soll ich unter diesem Geröll je wieder auferstehen, mich finden, behaupten, um, dann, mich gleich wieder selbst zu enthaupten? Es ist, als müsste ich erst reanimiert werden, doch von wem? Von diesem Ventilator da?! Nein, ich kann dir das Leben nicht einhauchen! Mit dir auf meiner Haut, mich nicht wärmer, lebendiger, frischer, wie neugeboren fühlen, mich in mein Selbst nicht tiefer hinein Dehnen und Vermehren … Nichts hält dieses ICH, das ich bin, länger in sich selbst zusammen …
… vermutlich lebe ich ebenfalls nicht.‘
Dies war die Stimme, die auf sie einschlug wie Hämmer respektive ihren Körper von Innen nach Aussen durchbohrte, während sie vor einem Spiegel stand, der nichts zurück spiegelte, weil einer allein sich in einer Aluminumscheibe nicht spiegeln kann oder wenn schon, dann nur verkehrt rum. Und sich die Nägel ihrer Hände, die das T-Shirt über den Schultern festhielten, in diese krallten.
(26.9.2014 the pain)