Zuerst einmal: ich habe keinen eigentlichen Namen.
Verschiedene Versuche, mich zu bezeichnen, und einen Namen für mich zu etablieren,
missrieten.
Ich könnnte dies oder jenes sein, wenn mein Lumpen sagt: mein Geschlecht.
Sagt er nicht Vagina, nicht Vulva, weil diese Namen mich nicht in meiner
Vielgestalt erfassen?
Ich bin sehr gross, denke ich, die Verbindungen, die ich erschaffen kann,
gehen von der Mitte aus. Ich kann Leben gebären und empfangen.
Ich kenne Lust, die die Erde betorft und solche die den Himmel beschwingt.
Und doch lebe ich sehr diskret, fast im Dunkeln.
Ich zeige mich so gut, wie nie. Auch nicht in der Anatomie.
Ich habe eine lange Geschichte der Doppeldeutigkeit und Scham.
Als mein Lumpen elf Jahre alt war, trat er auf einen Hocker vor den Spiegel
und fing an, an diesem Ding zu reissen, das unter mir hervorwuchs.
Wenn mein Lumpen im Reitunterricht den Galopp machte, hoffte er immer,
dass ich nachher wieder aussehe wie als Kind.
Weil das nicht eintraf, behandelte mich mein Lumpen dann stiefmütterlich.
Wie gesagt: Lust, die ich meinem Lumpen verschuf, führte nicht zu einer Art
persönlichen und freundschaftlichen Beziehung zwischen meinem Lumpen und mir.
Mein Lumpen bediente sich meiner oft nachträglich, weil er nicht wollte,
dass ein Mann mich so sieht.
Zu behaupten, dass ich für mich selbst einstehe, dass ich emanzipiert bin,
ist nur ein weiterer Versuch, in den vielen Versuchen, mich immer wieder
neu zu verschleiern.
Mein Lumpen sagt, dass er versucht hat, mehr zu sein als ich,
er sagt, er dachte, vielleicht hebt das meinen Makel auf.
Was ist mein Makel? habe ich gefragt.
Darauf wusste mein Lumpen keine Antwort.
(27.6.22)