Eclats de Minutes_ Die Geschichte meiner Hand

Anfangs glich ich einer Herzmuschel, vier Fingerchen zur Faust gekrümmt,

abgerundet mit vier Perlmuttblättchen.

 

Bereits schneidig trug ich kleine weisse Handschuhe, ich hätte mich sonst selbst verletzen können.

Noch ehe das Training begann, und ich griff nach allem, was zerbrechen kann, entdeckte ich meinen

Lutschdaumen, presste ihn gegen den Gaumen, liess ihn nicht mehr los.

In meinem Fall ganze sechs Jahre lang.

 

Als ich nicht mehr lutschte, fiel mir zum erstenmal eine generelle Leere auf.

Ich betrachtete mich und stellte fest, dass ich keine Lebenslinien hatte.

Meine Innenseite war voller kleiner Ritzchen und Rinnsälchen, die im Zickzack liefen,

aufhörten irgendwo, ja, tatsächlich, nirgendwo an meinem Lumpen, sonst, war ich so schrumpelig!

 

Und doch sagten sie mir dann, ein paar Jahre später: ich hätte Künstlerhände.

Das war so dahergesprochen wegen meiner Schlankheit, dem Ring, der am rechten, zweitletzten

leuchtete. Ich glaube, es war ein Kristall.

Nie aber war ich besonders begabt, wenn es darum ging, die Mixerstäbe aus dem

Kuchenmixer zu schrauben. Meine Frisuren zerfielen innert Minuten,

Im Handarbeitsunterricht zerbrach ich die Nadeln. Fräulein Mosimann machte alle

Strickarbeiten, alle Stickerein für mich fertig.

 

Ich kannte einen, damals, der hat mit seinen Händen ein Haus gemacht, für uns Kinder!

Er hat mir ein Rad gebastelt aus alten Pneus und eine  Seilbahn für den Kanarienvogel.

Ich schaute diese behaarten, festen Hände meines Vaters manchmal an, aber ich wagte

nie, mich mit ihnen zu verweben. Ich habe sie nie bewusst berührt.

 

Was ist höchstens tat: das war Tanzen in der Luft oder zur Musik, mit ausufernden Armen.

Da war ich auf einmal so beweglich und frei,  zeichnete Wellen über meinem Kopf,

strich Schlangen an meinem Lumpen entlang, Schlingpflanzen

und Ballerinen gleich. Ich warf den fiktiven Handschuh hin und mit dem kleinsten Fingerchen

einen gespreizten Kuss gegen die abgeschabte Betonwand. Das war in der Disco.

 

Arbeit war das also keine.

Und die Gipsbüste von meinem Lumpen wurde nie fertig.

Mein Lumpen war keine Frau der Tat, ganz sicher nicht. Und ich war ja nur das äusserste Glied

an ihm, das er mit Impulsen versah. Ich spürte die Zaghaftigkeit, das Zittern,

Zurückschrecken meines Lumpens …

 

als ich einem samtigen blonden Kopf übers Haar strich, vielleicht zum erstenmal in

meinem Leben. Als ich das Streicheln entdeckte. Und uferlos wurde in meiner Sehnsucht,

es wieder zu tun. Und länger. Viel länger.

——-

Ein einziges mal habe ich einen fast senkrechten Hang von Steinen geräumt

und ein paar Eichen gepflanzt.

 

Nie habe ich ein Kind in die Luft geworfen und mit beiden Händen wieder aufgefangen.

 

Ich war oft einfach irgendwo …. unnütz …. ich griff mit der Rechten nach der Linken,

verschränkte sie und kam aufs Beten, ich riss sie wieder auseinander.

Ich war einmal ein Handlanger, aber nur kurz, weil ich mich auch dazu nicht eignete.

Als ich dann meine Hand auf dem Herd verbrannte, liess ich sie dort liegen,

bis zum Schluss.

(24.6.22)

 

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